Dokumentation der digitalen Fachtagung vom 16.-17.11.2020

„Kindertagesbetreuung – demokratiekompetent und diversitätsbewusst durch Aus- und Fortbildung. (Neue) Konzepte, Akteur*innen und Anforderungen“

Veranstalterin: Koordinierungsstelle „Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung“
Moderatorin: Ursula Günster-Schöning

Die diesjährige Fachtagung der Koordinierungsstelle knüpfte thematisch an die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der ersten Phase des Projekts „Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung“ an, die Ende 2019 unter dem Titel „Wir sind politisch. Elf Thesen zu Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung“ veröffentlicht wurden. Das Papier schließt mit der These: „Demokratie und Vielfalt wollen gelernt sein – auch von Erwachsenen“. Dieser These folgend lag der Fokus der Fachtagung auf der Vermittlung von Demokratiebildung und Vielfalt in der Ausbildung sowie in der Fort- und Weiterbildung von frühpädagogischen Fachkräften. Zwei Leitfragen bildeten den Rahmen dieser Veranstaltung: Welche Kompetenzen benötigen frühpädagogische Fachkräfte für frühe Demokratiebildung und Vielfaltspädagogik? Wie wird die Vermittlung dieser Kompetenzen gegenwärtig in Aus-, Fort- und Weiterbildung gestaltet? Diese Fragen wurden in Fachinputs und Praxisimpulsen näher beleuchtet. Zudem stellten die Einzelvorhaben der Wohlfahrtsverbände ihre Ansätze, Konzepte und (Zwischen-)Ergebnisse vor.

Montag, 16. November 2020
 

Fachinputs: Wo lernen (angehende) Fachkräfte Demokratie und Vielfalt?

Demokratiekompetenz und Partizipation – Anforderungen an die Ausbildung von frühpädagogischen Fachkräften

Prof. Dr. Raingard Knauer, Fachhochschule Kiel

Prof. Dr. Raingard Knauer verdeutlichte in ihrem Input, wie wichtig es ist Demokratie und Vielfalt bereits in der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte zu vermitteln, damit sichergestellt werden kann, dass Kinder in der Kindertagesbetreuung beteiligt werden. Kinderrechte müssten strukturell verankert werden, um ihnen objektive Gültigkeit zu verleihen und somit umgesetzt zu werden. Partizipation könne nach Oskar Negt als Bildungs- und Aneignungsprozess verstanden werden. Nach diesem Verständnis bedarf es einer Demokratiepädagogik, die ganzheitlich gedacht, nicht nur Kindern, sondern auch Erwachsenen zuteil werden sollte. In der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte sollte demnach vermittelt werden, was den Kern demokratischer Partizipation ausmacht und wie sie situationsangemessen - etwa auch in Krisenzeiten - umgesetzt werden kann: Es müsse immer danach gefragt werden, welche Handlungsspielräume bestehen und wie Partizipation unter den aktuellen situativen Bedingungen realisiert werden könne. Kinder sollten dabei stets altersgerecht informiert werden. Prof. Dr. Knauer betont, dass Demokratie kein Inhalt unter vielen in der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte darstelle. Demokratie müsse vielmehr als ein Leitorientierungsprinzip verstanden werden, das die gesamte Ausbildung präge. Es gelte bereits in der Ausbildung demokratische Routinen zu entwickeln, diese aber auch immer wieder zu reflektieren.

Demokratiebildung in der Fort- und Weiterbildung frühpädagogischer Fachkräfte
Judith Durand, Deutsches Jugendinstitut

Vor dem Hintergrund der Ergebnisse des Forschungsprojekts „Bildung und Demokratie mit den Jüngsten“ (BilDe) berichtet Judith Durand, dass eine gewisse Unübersichtlichkeit und Unzugänglichkeit im breiten Feld der Demokratiebildung in der Fort- und Weiterbildung frühpädagogischer Fachkräfte bestehe. Bisher sei auch noch wenig systematisches Wissen zur Qualität und Nachhaltigkeit von Fort- und Weiterbildungsangeboten in diesem Bereich vorhanden. Weiterhin nennt sie die Gelingensbedingungen für den Transfer der Fortbildungsinhalte in die Praxis des Berufsalltags: Hierzu gehöre die Akzeptanz der Fortbildungen durch die Fachkräfte, die Ausrichtung an einrichtungsbezogenen Faktoren und Vorwissen der Fachkräfte sowie die Begleitung über die Weiterbildung hinaus. Demokratiebildung beinhalte nicht nur Wissensvermittlung, sondern auch die Reflexion über Einstellungen, Werte und Normen, die die eigene Identität ausmachen. Die Fort- und Weiterbildung müsse diese Reflexion neben der Vermittlung von Demokratie-Kompetenzen umfassen. Im Sinne dieser reflexiven Dimension müsste auch vorhandenem Desinteresse, mangelnder Motivation oder gar Ablehnung in Bezug auf Angebote der Demokratiebildung auf den Grund gegangen werden.

Moderiertes (Streit)Gespräch zwischen den Inputgeber*innen und Diskussion mit dem Publikum

Im anschließenden (Streit)Gespräch und hinsichtlich des Einbezugs der Fragen der Teilnehmenden wurden u.a. folgende Aspekte erörtert: Im Unterricht der Fachschulen und anderen Ausbildungseinrichtungen müsse die demokratische Praxis stets konkret in den Blick genommen werden. Etwa könnten Auszubildende selbst zu behandelnde Themen vorschlagen. Dass sie sich aber grundsätzlich mit Demokratie und Vielfalt auseinandersetzen müssen, sei dabei vorausgesetzt und müsse fester Bestandteil der Curricula sein. Zudem wird an die Verantwortung von Leitungen und Trägern appelliert, geeignete Rahmenbedingungen für die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungen für pädagogische Fachkräfte bereitzustellen. Dies soll eine flächendeckende Vermittlung von Demokratie und Vielfalt ermöglichen, unabhängig von der Bereitschaft und des Interesses einzelner.
 

Praxisimpulse I: Demokratie und Vielfalt in Aus- und Fortbildung

Impuls 1
Vielfalt und Beteiligung in der fachschulischen Ausbildung von Erzieher*innen erfahrbar machen

Dr. Carsten Püttmann, Berufskolleg Marienschule Lippstadt

Im Impuls von Dr. Carsten Püttman wurde der Frage nachgegangen, wie die Anleitung einer Person unter Berücksichtigung ihrer Würde möglich ist, damit sie sich zu einem kompetent handelnden Menschen entwickeln kann. Diese Frage stelle sich etwa in Bezug auf das Machtverhältnis zwischen Erzieher*innen und Kindern sowie zwischen Lehrenden und Schüler*innen bzw. Auszubildenden. Aufgrund dieses Machtverhältnisses gebe es analog zum (Demokratie-)Lernprozess der Kinder auch Stufen der Beteiligung in der Ausbildung. In der Ausbildung manifestiere sich dies etwa bei der Festlegung der Lerninhalte, des Stundenplans und der Notengebung. Konkret wurde diskutiert, wie Schüler*innen und Studierende in ihrer Ausbildung besser beteiligt werden können und welche Beteiligungsformen es gibt, um Partizipation für sie erlebbar zu machen. Eine Möglichkeit sei etwa die Schul- und Unterrichtsmitgestaltung. Ferner wurde erörtert, wie eine Didaktik aussehen muss, damit sie Beteiligung erfahrbar macht. Hierzu wurden Unterrichtsimpulse sowie Unterrichtssequenzen vorgestellt. An den Fach- und Hochschulen müsse Beteiligung noch zu einer gelebten Haltung gemacht werden. Weiterhin wurde herausgestellt, dass es mit Blick auf den Wissenstransfer einer Weiterentwicklung der Kooperation zwischen Fachschulen und Kitas bedürfe, aber auch der Begleitung von Auszubildenden.

Impuls 2
Demokratische Leitbildentwicklung im Rahmen von Fortbildungen. Handlungsoptionen für die Auseinandersetzung mit Diskriminierung und extrem rechten Erscheinungsformen in Kitas
Eva Prausner, Projekt ElternStärken/Hochschule Magdeburg-Stendal

Eva Prausner war es wichtig von den Teilnehmenden zu erfahren, was Kita-Fachkräfte und Auszubildende benötigen, um Eltern, die sich rechtsextrem und diskriminerend äußern bzw. handeln, angemessen zu begegnen. Es wurde herausgestellt, dass Kita-Fachkräfte und Auszubildende vor allem Kenntnisse über rechtliche und ethische Grundlagen sowie Kenntnisse über rechte Symbolik bräuchten. Wichtig sei auch die eigene Haltung im Team zu reflektieren. In den Blick genommen wurden neben den Fachkräfte-Teams auch die Ebene der Eltern und die der Kinder. Es wurde ferner die Rolle der Träger sowie der Einrichtungsleitung und ihrer Haltung beleuchtet. Eva Prausner unterstrich in ihrem Impuls, dass sowohl für das Handeln als auch das Nicht-Handeln Verantwortung übernommen werden müsse.

Impuls 3
Inklusion in der Fortbildungspraxis: Lernprozesse zur Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung begleiten

Petra Wagner und Tajan Ringkamp, Institut für den Situationsansatz/ Fachstelle Kinderwelten

Petra Wagner und Tajan Ringkamp erläuterten in ihrem Impuls, dass die Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung als inklusives Praxiskonzept bedeute, gleichsam diversitätsorientiert und diskriminierungskritisch zu sein. Um eine entsprechende Haltung zu entwickeln, bedürfe es eines lang angelegten Lern -und Erarbeitungsprozesses: Dieser gestalte sich individuell, aber auch im Team: Nur gemeinsam könnten die Fachkräfte ihre eigene Praxis reflektieren und eine Veränderungsbereitschaft entwickeln. Es sei dabei nötig, sich von unklaren und unspezifischen Worthülsen- und phrasen zu lösen. Stattdessen sollten Begriffe der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung geschärft, reflektiert und konkretisiert sowie Unterschiede sichtbar gemacht werden: In diesem Sinne müsse hinterfragt werden, was es genau bedeute in der eigenen Einrichtung diskriminierunsgkritisch und diversitätsbewusst zu arbeiten sowie Demokratie und Partizipation umzusetzen. Gerade für solch einen langfristigen Lernprozess im Team seien länger angelegte Coachings, Weiterbildungen und Prozessbegleitungen nötig. Diesbezüglich bedürfe es eines Paradigmenwechsels hin zu langfristigen Fortbildungen und permanenten fachlichen Begleitungen für einzelne Teams. Diversitätsorientierte Spielmaterialien, etwa vom Institut für den Situationsansatz, könnten diesen Lernprozess und die Umsetzung der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung unterstützen.

Impuls 4
Demokratiekompetenz in der Erzieher*innenausbildung – Betzavta und mehr

Dr. Myriam Schwarzer und Martin Boock (Projektleitende), mitgemacht – Partizipationswerkstatt Kita

Dr. Myriam Schwarzer und Martin Boock stellten ihr Projekt „mitgemacht – Partizipationswerkstatt Kita" vor, in dem die Demokratiekompetenz in Kitas und der Erzieher*innenausbildung gefördert wird. Zudem umfasse das Projekt eine Prozessbegleitung in Kitas für Eltern, Leitungen und Teams. Im Vordergrund dieses Impulses stand der Aspekt der Stärkung von Kita-Teams, schließlich müsse Demokratiebildung früh beginnen. Die frühpädagogischen Fachkräfte seien Expert*innen für die Erziehung der Kinder. Sie sollten dabei für die Vermittlung von Demokratie und Partizipation durch Beteiligungsformate sorgen, auch wenn es dadurch zu Konflikten mit Eltern kommen kann. Im Impuls wurden Wege eines konstruktiven Umgangs mit Eltern im Konfliktfall aufgezeigt. Hierzu stellten die Referierenden das Erziehungs- und Bildungskonzept Betzavta („Miteinander") vor, das 1988 in Jerusalem am ADAM-Institut für Demokratie und Frieden mit dem Ziel, die Demokratieerziehung in Israel zu fördern, entwickelt wurde. Das Konzept sei 1995 vom Centrum für angewandte Politikforschung mit Unterstützung der Bertelsmann Stiftung für die Anwendung in Deutschland adaptiert worden. Betzavta mache demokratische Wege der Entscheidungsfindung mit ihren Chancen und Schwierigkeiten erlebbar. Die Grundannahme bestehe darin, dass Konflikte konstruktiv bearbeitet werden können, wenn die beteiligten Personen anerkennen, dass das Recht auf freie Entfaltung für alle Menschen gleichermaßen gilt. In diesem Impuls wurde auch die Notwendigkeit von partizipativem Arbeiten und Diversität im Team herausgestellt. Wichtig sei auch, dass die Fachkräfte die Eltern selbst einbinden und ihnen hierzu Beteiligungsmöglichkeiten erklären.

Impuls 5
Wie Erwachsene Demokratie leben lernen. Erfahrungen aus den Fortbildungen zur „Kinderstube der Demokratie“

Rüdiger Hansen, Institut für Partizipation und Bildung

Der Impuls von Rüdiger Hansen umfasste drei zentrale Thesen: (1) Demokratische Partizipation ist lehrbar. (2) Demokratische Partizipation ist machbar. (3) Es bedarf kritischer Praxisreflexionen (um Machtstrukturen bewusst zu machen). Bedeutsam dabei sei, die Machtabgabe anhand von konkreten alltagsrelevanten und projektorientierten Entscheidungen zu reflektieren. Die Teilnehmenden des Impulses resümierten, dass Kinder Demokratie nur dann erlernen können, wenn Erwachsene diese angemessen gestalten. Durch ausreichend Zeit für Fort- und Weiterbildungen zu demokratischer Partizipation sollen pädagogische Fachkräfte und ihre Teams dabei unterstützt werden. Fortbildungen zu demokratischer Partizipation müssten Planungsprozesse der Teams strukturieren und moderieren. Dies könne folgendes beinhalten: a) Durchführung von Beteiligungsprojekten; b) Klärung von Selbst -und Mitentscheidungsthemen; c) Gestaltung von Beteiligungsgremien- und verfahren. Fortbildungen zu demokratischer Partizipation sollten selbst eine partizipative Didaktik anwenden, wobei alle Entscheidungen konsensorientiert im Team gefällt werden. Wichtig sei auch Beschwerdeverfahren zu erarbeiten. Es bedürfe einer kleinteiligen und differenzierten methodischen Planung des pädagogischen Handelns in der Umsetzung.

Dienstag, 17. November 2020
 

Praxisimpulse II: Die Einzelvorhaben der Wohlfahrtsverbände

Impuls 1: AWO
Einblicke in das Fortbildungscurriculum „Was Qualität in der Kindertagesbetreuung ausmacht – selbstreflexive und vorurteilsbewusste Demokratieentwicklung“

Jannes Hesterberg, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband
Goska Soluch, Mediatorin und Bildungsreferentin für Inklusion, Partizipation und vorurteilsbewusste Pädagogik

Impuls 2: DRK
Eindrücke aus der Anwendung und Weiterentwicklung des Fortbildungskonzepts „Was MACHT was?!“

Sabine Urban und Shana Kleeberg, Deutsches Rotes Kreuz

Impuls 3: KTK-Bundesverband
Ausbildungssystem: Beteiligungserfahrungen angehender Erzieher*innen

Simone Haaf, Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder - Bundesverband
Jessica Schuch, freiberufliche Fort- und Weiterbildnerin für Demokratie in der Kita

Impuls 4: Paritätischer/BVKTP
Hier haben Kinder Rechte! Die Bedeutung der Kinderrechte für die Kitas und die Kindertagespflege

Dr. Teresa Lehmann, Bundesverband für Kindertagespflege
Claudia Kittel, Deutsches Institut für Menschenrechte
Marc Köster, Paritätischer Wohlfahrtsverband Berlin

Impuls 5: Diakonie
Familienbildungseinrichtungen als Lernorte für Demokratie – Demokratiebildung für Familienbildner*innen

Stefanie Schwarzkopf, Diakonie Deutschland
Ulrike Stephan, evangelische arbeitsgemeinschaft familie

Impuls 6: ZWST
Fortbildungskonzepte für vielfaltsorientierte Bildung und Erziehung in jüdischen Kindertageseinrichtungen

Vera Katona, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland/ Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment (ZWST)

Abschlussdiskussion
Marion von zur Gathen (Paritätischer Gesamtverband) und Frank Jansen (KTK - Bundesverband/Caritas), Vertreter*innen des Begleitprojekts
Dr. Carsten Püttmann, Berufskolleg Marienschule Lippstadt
Prof. Dr. Ulrike Voigtsberger, Hochschue für angewandte Wissenschaften Hamburg
Elisabeth Dannenmann, Projektleitung Interkulturelle Öffnung der AWO Schleswig-Holstein
Daniel Frömbgen, freiberuflicher Fortbildner (kibiko - Kinder Bildung Konzepte)

 

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Wir danken allen Beteiligten für das Engagement bei der Gestaltung unserer Fachtagung sowie den zahlreichen Teilnehmer*innen für das große Interesse und die rege Mitwirkung!