Dokumentation des Fachforums „Wenn kleine Demokrat*innen in die Schule kommen …“ – Partizipation am Übergang Kita-Grundschule

Leitveranstaltung im Rahmen des 17. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetages am 19. Mai 2021

©Jonas Heidebrecht

Die Koordinierungsstelle „Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung“ veranstaltete beim 17. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag (DJHT) ein digitales Fachforum zur partizipativen Gestaltung des Übergangs von der Kita in die Grundschule mit rund 230 Teilnehmer*innen aus dem gesamten Bundesgebiet. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Anneli Starzinger und Mirja Heunemann.

Das Fachforum begann mit zwei Fachinputs: Zunächst gab Prof. Dr. Kathrin Aghamiri von der Fachhochschule Münster einen Überblick zum aktuellen Forschungsstand bezüglich der partizipativen Gestaltung des ersten Bildungsübergangs. Nach einer allgemeinen Einführung zu Übergängen als Infragestellung von bekannten Alltagsroutinen, die sowohl eine Chance für Entwicklung als auch ein krisenhaftes Erleben von Unsicherheiten darstellen können, ging sie näher auf die besondere Herausforderung beim Übergang von der Kita in die Grundschule ein. Diese bestehe vor allem darin, dass die beiden gesellschaftlichen Institutionen auf unterschiedliche Traditionen von Bildung und Erziehung zurückblicken würden. Während das sozialpädagogische Bildungsverständnis in der Kita auf die Selbstbildung der Kinder abziele, verstehe Schule Bildung als Qualifikation für den Arbeitsmarkt und die Integration in die Bürger*innenschaft. Den Übergang von der Kita in die Grundschule gemeinsam mit den Kindern partizipativ zu gestalten bedeute die Erfahrung von Selbst- und Mitbestimmung, gleichen Rechten, Solidarität, Handlungskompetenz und gesellschaftlicher Verantwortung zu ermöglichen. Damit trage Partizipation über das Erleben von Selbstwirksamkeit zur Entwicklung von Resilienz bei, die wiederum einen Schlüssel zur Bewältigung von krisenhaften bzw. unbekannten Situationen wie Transitionen darstelle. Zudem fördere Partizipation am Übergang die (nachhaltige) Demokratiebildung von Kindern, da Demokratie als Lebensform nur in der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit sich und anderen in alltäglichen Erfahrungen angeeignet werden könne. Um Demokratieerfahrungen am Übergang zu sichern und zu ermöglichen brauche es eine verstärkte und zielgerichtete Zusammenarbeit von Kita und Grundschule mit Blick auf den Sozialraum und eine projektbezogene, konsequent partizipative Gestaltung des Übergangs innerhalb und zwischen diesen Institutionen und seiner Akteur*innen.

Anschließend berichtete Elisabeth Dannenmann als ehemalige Leitung der AWO-Kita Zwergenland in Neumünster von Bemühungen den Übergang von der Kita in die Grundschule mit den verschiedenen beteiligten Akteur*innen partizipativ zu gestalten. Den Grundstein dafür lege die Kindertagesbetreuung, die durch institutionalisierte Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten, Teilhabe von Anfang an erfahrbar mache. Damit sei ein angehendes Schulkind bereits befähigt auszuhandeln, sich festzulegen, sich zu reflektieren und Kompromisse einzugehen. Dennoch sei Partizipation als Querschnittsthema in der Kita keineswegs flächendeckend in Neumünster institutionalisiert, da die Konzepte in Trägerhand lägen und es sich dabei oftmals um zeitlich begrenzte Projekte handele. Um den Übergang von der KiTa-Zwergenland in die Grundschule partizipativ zu gestalten, werden etwa Schnuppertage mit Kindern und pädagogischen Fachkräften organisiert, Theaterveranstaltungen der jeweiligen Institutionen besucht und an Schulveranstaltungen (z.B. Lauf-Tag) teilgenommen. Weiterhin würden Klassenlehrer*innen in der Kita hospitieren und so erste Kontakte aufnehmen. Zudem würden Kinder mit ihren Eltern und Fachkräften Kompetenzgeschichten gestalten, die ihre verschiedenen Entwicklungsschritte bis zur Einschulung aufzeigen. Die Übergabe dieser Kompetenzgeschichten an die Schule garantiere die individuelle Bezugnahme auf das einzelne Kind und seine Bedürfnisse. Grundschulen würden hingegen Schnuppertage mit Eltern und Kindern organisieren und Grundschulkinder lesen als „Book Buddy“ den Schulanfänger*innen Geschichten vor. In den Grundschulen gebe außerdem Kindersprechstunden sowie verschiedene Formen der Schüler*innenvertretung. Die Maßnahmen zur Förderung einer institutionalisierten demokratischen Grundhaltung würden weiterhin durch die Regionalkonferenz, im Rahmen derer sich Kitas und Grundschulen ca. viermal im Jahr treffen, begleitet und herausgefordert.

Darauffolgend fand eine Podiumsdiskussion mit den beiden Inputgeberinnen sowie Sabine Urban (DRK Generalsekretariat), Dr. Arne Offermanns (Freie und Hansestadt Hamburg) und Christoph Schieb ( Grundschule Bad Münder) statt. In der Podiumsdiskussion wurde verdeutlicht, dass es zwar bereits viele etablierte Kooperationen zwischen Kitas und Grundschulen gebe, diese aber noch nicht flächendeckend und strukturell verankert seien und der systematische partizipative Einbezug aller Akteur*innen inklusive der Kinder und ihrer Familien noch ausstehe. Um solch eine partizipative Kooperation anzuregen und voranzutreiben, brauche es vor allem eine demokratische Haltung aller Beteiligten und eine gute Kommunikation zwischen ihnen. Dafür seien fest etablierte Orte des offenen, ehrlichen und regelmäßigen Austauschs sowie eine wertschätzende Begegnung auf Augenhöhe notwendig. Ein konkretes Beispiel seien die regionalen Bildungskonferenzen in Hamburg als Netzwerke im Sozialraum. Als förderlich zeige sich außerdem, so die Diskutant*innen, der gebundene Ganztag. Dieser erweise sich als Bereich, in dem beide Systeme ohnehin ineinandergreifen würden und demokratische Alltagserfahrungen (wie z.B. Möglichkeit für Kinder Feedback zum Mittagessen zu geben, sich für ein Freizeitangebot im Rahmen offener Arbeit zu entscheiden etc.) ermöglicht werden könnten. Dafür brauche es eine Bewusstwerdung darüber, dass es bereits viele Anschluss- und Berührungspunkte zwischen diesen beiden Institutionen gebe und diese mit Hinblick auf eine partizipative Übergangsgestaltung genutzt werden können. Um Partizipation als Querschnittsthema über die Grenzen einzelner Institutionen hinweg zu etablieren, müssten weiterhin (angehende) Pädagog*innen schon während der Aus- und Weiterbildung deren Wert kennenlernen und erfahren, etwa durch die Verankerung von Demokratiebildung in den Curricula. Für eine stärkere Verankerung der Demokratiepädagogik im Schulsystem brauche es auch politische Initiativen und Signale, etwa von den Bildungsministerien. Konstatiert wird zudem die Wichtigkeit auch „klein“ zu denken und die Partizipation am Übergang durch einzelne Projekte und Initiativen, wie z.B. eine gemeinsam gestaltete Einschulungsfeier, von und für Fachkräfte, Eltern und Kinder, erlebbar zu machen. Generell wichtig sei die pädagogische Begleitung von Kindern und ihren Familien sowie die Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe in diesem Transitionsprozess, der für die Bildungsbiografie nachhaltig entscheidend ist.

Während der Veranstaltung wurden die Teilnehmenden durch das digitale Umfragetool Slido eingebunden. Sie konnten mithilfe dieses Tools ihre Fragen an die Referierenden sowie ihre Hinweise, Erfahrungen und Anregungen zum (partizipativen) Übergang Kita-Grundschule einbringen.

Einige Teilnehmenden meldeten zurück bisher wenig Erfahrungen mit der Kooperation zwischen Schule und Kita gemacht zu haben oder diese erst noch zu planen. Hürden für die Kooperation seien aus Sicht der Teilnehmenden der Personal- und Zeitmangel (vor allem der Schulen), die räumliche Trennung der Bildungsinstitutionen insbesondere in den ländlichen Gebieten sowie grundsätzliche Unterschiede des Elementar- und Primarbereichs: Während Kitas eher partizipativ arbeiteten, seien Schulen oftmals weniger demokratisch verfasst. Dies führe mitunter zu einem „Demokratieschock“ bei der Einschulung für die Kinder. Zu oft hänge die Kooperation der Bildungsinstitutionen auch noch vom „good will“ der Leitungskräfte ab.

Die meisten Teilnehmenden gaben jedoch wieder schon Erfahrungen in der Zusammenarbeit zwischen Kita und Grundschule gemacht zu haben, z.B. durch das Projekt Brücke oder auch im Rahmen eines Kinderbildungshauses, eines Kooperationsjahres oder einer Kooperationsgruppe. Als weiteres konkretes Beispiel für Kooperationsmöglichkeiten wurde die Nutzung der Sozialstunde für Gewaltpräventionsprogramme (etwa durch das Curriculum Faustlos) genannt. Ferner wurde sich für die Nutzung von Kooperationskalendern und das Durchführen von gegenseitigen Besuchen bzw. Hospitationen ausgesprochen.

Die Teilnehmenden identifizierten auch generelle Voraussetzungen für eine gelungene Übergangsgestaltung: Zunächst sei die Bereitschaft aller beteiligten Akteur*innen zur Kooperation sowie eine stetige und zielgerichtete Kommunikation zwischen ihnen wichtig. Sie müssten sich gegenseitig wertschätzen, respektieren, aufeinander zugehen und auf Augenhöhe begegnen. Weiterhin bedeutsam seien die Selbst- und Lernkompetenz. Zudem seien verbindliche Vereinbarungen nötig. Es brauche auch die nötigen Rahmenbedingungen in den Bildungseinrichtungen, wie ausreichend zeitliche und personelle Ressourcen. Wichtig seien auch Transparenz, Toleranz, Zuversicht, Vertrauen und Eigeninitiative. Außerdem sei eine gelungene Vernetzung von Schulen und Kitas im Rahmen von Netzwerkarbeit förderlich. Ein weiterer zentraler Baustein seien Fortbildungen für Fach- und Lehrkräfte. Darüber hinaus müssten neben den Eltern auch die Kinder selbst in den Blick genommen und ihre Ideen aufgegriffen werden, indem sie Gehör finden. Ferner stimmten die Teilnehmenden mit den Referierenden darin überein, dass das Thema der partizipativen Übergangsgestaltung auch in den Ausbildungen von Erzieher*innen und Lehrer*innen verankert werden müsse und die Umsetzung von Partizipation bedeutend von der Haltung der Beteiligten abhänge. Erzieher*innen und Lehrkräfte bräuchten ein gemeinsames Verständnis ihres Bildungsauftrags und ein gemeinsames Beteiligungskonzept. Sie müssten sich auch selbst hinterfragen können. Weiterhin wurde gefordert, dass dasselbe Ministerium für Kitas und Grundschulen zuständig sein sollte. Ferner müssten Schulen neue Wege gehen, indem sie partizipativer, offener und bedürfnisorientierter gestaltet werden. Schulen müsste aber auch mehr Raum gegeben werden, um an Konzepte (der Demokratiebildung) anknüpfen zu können. Die Notwendigkeit zur Kooperation aller beteiligten Akteur*innen des Übergangsprozesses ergebe sich schließlich auch aus der Regelung zur Jugendhilfeplanung gemäß § 80 SGB VIII.

Die zentralen Ergebnisse der gesamten Veranstaltung wurden durch ein Graphic Recording von Jonas Heidebrecht (siehe oben) anschaulich zusammengefasst.

Weitere Informationen zum Thema der Veranstaltung finden Sie in unserem Schwerpunktbeitrag vom März 2021.