Stimmen aus der Praxis: Brigitte Netta

Brigitte Netta ist gelernte Erzieherin und Leiterin der Kindertageseinrichtungen „Eine Welt Kinderhaus SieKids AMBärchen – fair und global“ und „CampusKids Amberg“. Besonders am Herzen liegen ihr die Themen Partizipation, Bildungspartnerschaft mit Familien, Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie digitale Bildung. Brigitte Netta engagiert sich auch kommunalpolitisch als stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Amberg. Daneben ist sie Mitglied im Beirat des Kooperationsprojekts „Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung“.

Wir wollten von ihr wissen, warum sie sich die Themen Demokratie und Vielfalt auf die Fahnen geschrieben hat.
 

Was bedeuten „Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung“ für Sie? Was motiviert Sie, sich als Erzieherin und Kita-Leiterin für die Themen Demokratie und Vielfalt einzusetzen?

Kindertageseinrichtungen sind aus meiner Sicht Lernorte der Demokratie und haben daher eine Schlüsselrolle inne. Hier erfahren Kinder, welche Normen und Werte in unserer Gesellschaft gelten und welche Rechte sie haben. Wenn Fachkräfte Macht abgeben, dann können Kinder erste Erfahrungen von gelebter Demokratie machen und Kompetenzen für das Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft entwickeln.

Die Kita ist außerdem heute stärker als je zuvor ein Ort der kulturellen Vielfalt. Durch den intensiven Kontakt zwischen Personal, Familien und Kindern kann eine gegenseitige Verständigung und Akzeptanz von Anfang an befördert werden. Es ist aber auch eine Herausforderung, allen gerecht zu werden und Angebote zu machen, an denen alle Kinder und Familien teilnehmen können, sodass Gemeinschaft entsteht.
 

Wie setzen Sie diese Themen in Ihren Einrichtungen um? Welche konkreten Erfahrungen haben Sie mit diesen Themen in Ihrer (pädagogischen) Praxis gemacht?

Sowohl das Kinderhaus SieKids als auch die Kinderkrippe CampusKids, die beide im Herbst 2013 neu eröffnet wurden und die ich seitdem leite, verstehen sich als Orte für Kinder und Familien. Wichtige Eckpunkte sind Kultur- und Religionssensibilität, Familienorientierung, Inklusion, Lebensweltorientierung und aktive Beteiligung von Kindern und Familien. Unser alltagsintegrierter Ansatz ermöglicht es jedem Einzelnen zu verstehen, wie sich das eigene Handeln auf die Welt auswirkt, und fördert damit Verantwortungsübernahme und gesellschaftliches Engagement.

Wichtige Grundlagen bilden in beiden Einrichtungen einerseits die Vielfalt im Team und andererseits eine aktive Bildungspartnerschaft mit den Familien, unter Einbeziehung von Ehrenamtlichen als „Bildungspatinnen und -paten“. Dies ermöglicht uns allen verschiedene Blickwinkel und Ansätze, die im Umgang mit kultureller Vielfalt notwendig sind. So kann auch ein Bewusstsein für eigene Vorurteile entwickelt werden.
 

Welches sind aus Ihrer Sicht die größten Hürden und Herausforderungen bei der Umsetzung von Demokratiebildung und Partizipation in Kindertageseinrichtungen?

Demokratiebildung und Partizipation sind keine zusätzlichen Aufgaben; ihre Umsetzung kommt aber nicht ohne jene Ressourcen aus, die wichtig sind für jede gute pädagogische Arbeit: Zeit (für die Teamreflexion und um Entscheidungen im Konsens zu treffen), partizipative Führung und fachliche Begleitung im Prozess, die ebenfalls partizipativ sein muss. Nur so ist es möglich, feste und verlässliche Strukturen für Beteiligung und Beschwerde im Kita-Alltag zu schaffen, damit Kinder (und Familien) personenunabhängig ihre Rechte ausüben können.
 

Welche Rolle kommt der Kita-Leitung dabei zu?

Als Leiterin habe ich im Prozess gemeinsam mit dem Träger eine Schlüsselposition und sehe mich in der Rolle der Moderatorin der Prozesse. Dabei ist mir Fehlerfreundlichkeit ganz wichtig, denn Fehler sind nicht nur menschlich, sondern auch für jeden Lernprozess unerlässlich. Genauso zentral ist die Erkenntnis, dass alle Beteiligten Lernende und Lehrende zugleich sind. Meine Überzeugung ist, dass alle in irgendeiner Weise Expertinnen bzw. Experten sind. Jeder Mensch hat besondere Fähigkeiten und Kenntnisse, die er/sie nicht mit anderen teilt, und es gibt niemanden, der/die alles weiß.
Diese Prinzipien gelten selbstverständlich für alle Beteiligten, also auch für die Kinder und ihre Familien (und die Bildungspatinnen und -paten).
 

Sie sind nicht nur Leiterin zweier Kitas, sondern auch 3. Bürgermeisterin der Stadt Amberg. Wie hängen „Demokratie im Kleinen“ (in der Kita) und „Demokratie im Großen“ (in der Kommune) für Sie zusammen?

Da halte ich es mit Max Frisch, der gesagt hat, „Demokratie heißt, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen". Ich bin der Überzeugung, dass Kinder, Pädagoginnen und Pädagogen und Familien, die sich in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen, eine demokratische Alltagskultur entwickeln, die über die eigene Einrichtung hinausgehen kann und auch das Gemeinwesen umfasst. Schließlich sind Kitas keine Inseln, sondern wirken in den Sozialraum hinein – auch oder vielleicht ganz besonders, wenn es um Demokratiebildung geht.

Aufbauend auf diese Keimzellen für Demokratie braucht es meiner Meinung nach eine strukturelle Verankerung bzw. eine feste Anlaufstelle für Kinder und Familien in der Kommune, wenn es Sorgen oder größere Probleme gibt, wenn Kinderrechte und Kinderinteressen verletzt oder nicht ausreichend berücksichtigt werden, wenn Konflikte eskalieren und allein nicht mehr lösbar sind etc. Dies könnte beispielsweise durch Kinderbeauftragte erfolgen, die sich parteilich, ggf. auch anonym, unbürokratisch und unkompliziert für Kinder und ihre Familien einsetzen.
 

Herzlichen Dank für das inspirierende Gespräch!

 

Schwarz-weiß Foto einer Frau. Sie lächelt, trägt eine Brille, hat kurze lockige Haare.Sie trägt ein Tuch um den Hals.
©Brigitte Netta