Von der Kita in die Grundschule: Wie geht es weiter mit Demokratiebildung?

Ein Blick über den Tellerrand.

Eine Gruppe von Kindern, die Rucksäcke tragen, kommen freudig angerannt.
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Sowohl im regelmäßigen Austausch mit den Einzelvorhaben im Kooperationsprojekt „Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung“ als auch in den fachlichen Diskussionen im Beirat des Projekts kommt immer wieder die Frage danach auf, wie Kinder mit einem Wechsel von einer beteiligungs­orientierten Kindertageseinrichtung zum (stärker) durchstrukturierten Bildungsort Schule umgehen, und was es braucht, damit die im Elementarbereich gesetzten demokratie­bildenden Impulse dort nicht verhallen.

Doch nicht nur in den Fachdebatten, auch in der Praxis gewinnen die Themen Demokratiebildung, Partizipation und Vielfaltsorientierung im Schulkontext an Bedeutung. Wir haben dies erst kürzlich wieder aus erster Hand erfahren: Während der diesjährigen didacta kamen wir nicht nur mit Kita-Mitarbeitenden, sondern auch mit vielen Grundschullehrerinnen und -lehrern sowie Erzieherinnen und Erziehern aus dem Hort- und Ganztagsbereich ins Gespräch. Der Grundtenor war oft der gleiche: Die Erfahrungs­räume für demo­kratisches Handeln und Vorurteilsbewusstsein seien in vielen Grundschulen noch ausbaufähig. Häufig wurde auch eine wenig partizipations- und vielfaltsorientierte Haltung der Lehrkräfte beklagt. Eine Lehrerin aus Nordrhein-Westfalen fand dafür sehr klare Worte: „An den Grundschulen brennt’s!“

Studien zeigen, dass die politische Sozialisation von Kindern bereits im Vorschulalter beginnt; sie ist nach Austritt aus dem System der Kindertagesbetreuung aber längst nicht abge­schlossen. Kitas und Tagespflegestellen legen also einen Grundstein für die demokratische Sozialisierung (junger) Kinder, auf den der Lern- und Lebensort Schule aufbauen sollte. Hier gibt es noch viel zu tun.

Wie kann Demokratie im Primarbereich gelebt werden? Unterschiedliche Formate haben sich etabliert: Da sind zunächst offenen Beteiligungsformen, wie beispielsweise Stuhlkreisgespräche oder die aus dem Kita-Alltag bekannten Morgenkreise, die als wiederkehrendes Klassenritual Kindern die Möglichkeit bieten, sich einzubringen und Probleme zu adressieren. Aus der Praxis sind ebenso Beschwerdemöglichkeiten in Form von sogenannten „Mecker­ecken“ an Schulen bekannt. Damit sind (mobile) Anlaufpunkte gemeint, an denen Schülerinnen und Schüler ihre Anliegen mit Schülerinnen­vertretungen thematisieren können.
Beteiligung kann auch anhand projektbezogener Formate erfolgen. Dabei sind die Schülerinnen und Schüler aktiv an der Planung und Durchführung eines thematisch (idealerweise selbstgewählten), zeitlich und räumlich definierten Projekts beteiligt. Als Beispiele dafür seien u. a. ein Projekttag zum Klimaschutz oder die Planung des anstehenden Klassenausflugs genannt.
Auch sind strukturell verankerte Beteiligungsformate an vielen Schulen gängige Praxis. Sie geben den Kindern in institutionalisierten Gremien die Möglichkeit, eigene Anliegen einzubringen und Verant­wortung zu übernehmen. So beraten, diskutieren und entscheiden die Schülerinnen und Schüler bei­spiels­weise im Klassenrat gemeinsam über selbstgewählte Themen wie Klassenfahrten, Projektwochen, über aktuelle (schul- oder gesellschafts-)politische Geschehnisse. Auch Konflikte können hier offen thematisiert werden. Im Schüler- und Schülerinnenparlament haben die Kinder über eine gewählte Vertretung die Möglichkeit, das Lebensumfeld über die Schule hinaus mitzugestalten und ihre Kommunikations- und Kritikfähigkeiten zu schulen, für die eigenen Interessen einzutreten und Verantwortung für die Schülerinnenschaft zu übernehmen.

Einige Schulen haben sich auch die Kinderrechte auf die Fahne geschrieben. Hierbei gibt es zahlreiche Förderprogramme, die die Schulentwicklung zu Kinderrechten unterstützen. Beispielsweise berät und begleitet das Deutsche Kinderhilfswerk bereits seit 2013 mit dem Modellprojekt „Kinderrechteschulen“ ausgewählte Grundschulen dabei, das Thema nicht nur altersgerecht in den Unterricht zu integrieren, sondern auch Kinderrechte aktiv im Schulalltag umzusetzen. Auch das in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen etablierte buddY-Programm bietet ein Grundlagentraining für Grundschulen mit dem Ziel, die Kinderrechte für Schülerinnen und Schüler erfahrbar zu machen. Das Training reicht von der Kenntnisvermittlung zur UN-Kinderrechtskonvention, über die Durchführung von praktischen Kinderrechteprojekten bis hin zu Kinderrechte-Audits. Zielgruppen des Trainings sind pädagogische Fachkräfte, Lehrende, Schulleitungen sowie Fachkräfte der Schulsozialarbeit. >> Weitere Informationen dazu finden Sie hier und hier.

Es gibt also im schulischen Kontext bereits einige Beispiele guter Beteiligungspraxis. Trotzdem lässt sich konstatieren, dass Mit- und insbesondere Selbstbestimmung hier – im Vergleich zur Kindertages­betreuung – rasch an ihre Grenzen stoßen, weil sie nicht als verbindliche Rechte festgeschrieben sind. Denn: Während Kinder in der Kita häufig selbst entscheiden können, wann sie beispielsweise spielen, essen oder schlafen (insbesondere dort, wo eine Kita-Verfassung eingeführt und eine systematische Rechteklärung stattgefunden hat), werden im Schulbetrieb u. a. die Dauer und Inhalte von Unterrichtseinheiten, die Pausenzeiten oder Hausaufgaben meist ganz selbstverständlich von den Erwachsenen vorgegeben. Die Beteiligungsimpulse verpuffen, wenn keine grundsätzliche Ausein­andersetzung und verbindliche Verständigung über die Rechte von Kindern stattfindet. Diese Rechte­klärung ist umso wichtiger, je rigider und durch­strukturierter das System von vornherein angelegt ist.

Insgesamt ist festzustellen, dass Schule bisher deutlich weniger als Kita darauf ausgerichtet ist, konkrete Erfahrungen mit Demokratie als Lebensform zu ermöglichen. Für Kinder aus partizipativ arbeitenden Kitas kommt es beim Wechsel vom Elementar- in den Primarbereich – so ist zu befürchten – zu einer Verschiebung von konkreten Beteiligungserfahrungen hin zu einer vorrangig kognitiv ausgerichteten Vermittlung von politischer Bildung – Demokratie wird vom „Erlebten“ zum „Lerninhalt“. Wie sich solche Brüche konkret auf die demokratische Sozialisation von Kindern auswirken, wurde bisher noch nicht empirisch beleuchtet. Auch zur Frage, ob und wie einschlägige pädagogische Konzepte zu früher Demokratiebildung und Vielfaltspädagogik langfristig – auch über verschiedene Bildungsorte hinweg – Resonanzen erzeugen, gibt es Forschungsbedarf. Hier ist also die Wissenschaft gefragt!

Schon jetzt scheint eine engere Kooperation und Verständigung von Kindertagesbetreuung und Grundschule sinnvoll, damit demokratiebildende Impulse beim Wechsel in den Primarbereich nicht „im Sande verlaufen“. Den Übergang Kita-Grundschule als wichtige Schnittstelle zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Schule gilt es daher auch im Sinne einer nachhaltigen Demokratiebildung genauer in den Blick zu nehmen – so der Tenor von Expertinnen und Experten, auch in unserem Kooperationsprojekt. Daneben bieten Hort und Ganztag wichtige Schnittstellen für die Fortführung partizipativer und vorurteils­bewusster Ansätze aus der Frühpädagogik. Vorhaben wie „Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung“ zeigen auf, wie divers Beteiligungserfahrungen in der frühkindlichen Bildung sein können. Ausgehend davon könnte modellhaft in den Blick genommen werden, wie in der Grundschule noch konsequenter als bisher daran angeknüpft werden kann, damit demokratische Rechte von Kindern über die verschiedenen Bildungs­institutionen hinweg zur Selbstverständlichkeit werden – und so schließlich das Bildungssystem als Ganzes demokratischer und inklusiver wird.

Verfasst von Nicole Tappert

Weitere Informationen dazu finden Sie unter:

ABC der Demokratiepädagogik
Der Klassenrat