Beschluss der EU-Kinderrechtsstrategie und Kindergarantie: Meilenstein zur Stärkung der Kinderrechte in Europa

Verfasst von Laura Martin, Koordinierungsstelle

Die Europäische Kommission hat am 24. März die erste umfassende Kinderrechtsstrategie der Europäischen Union (EU) beschlossen. In diesem Rahmen nahm sie auch einen Vorschlag zur Einführung einer Europäischen Garantie für Kinder an. Das Europäische Parlament hat sich diesem Vorschlag mit der Entschließung zu der Europäischen Garantie für Kinder angeschlossen. Am 14. Juni folgte schließlich die Verabschiedung durch den Rat der EU mit der Annahme einer Empfehlung zur Einführung einer Europäischen Garantie für Kinder. Die Kinderrechtsstrategie und Europäische Garantie für Kinder zielen darauf ab, die Rechte von Kindern zu stärken und ihnen die bestmöglichen Voraussetzungen für ein gelingendes Leben zu schaffen. Ein zentrales Anliegen dabei ist die Förderung der Chancengleichheit von Kindern, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Dies soll etwa durch eine EU-weite Verbesserung der Standards und Zugangsmöglichkeiten zu frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) ermöglicht werden.

Der Verabschiedung beider Initiativen war eine Konsultation vorausgegangen, in der die Kommission zusammen mit weltweit führenden Kinderrechtsorganisationen die Meinungen von mehr als 10.000 Kindern einholte.

Aus Sicht der Kommission stellt die neue EU-Kinderrechtestrategie ein historisches Vorhaben zur Förderung der Demokratie in Europa dar. So erklärte die für Demokratie und Demografie zuständige Kommissionsvizepräsidentin Dubravka Šuica anlässlich der Annahme der Strategie am 24. März (siehe Pressemitteilung der Kommission):

Diese neue umfassende Strategie der EU für die Rechte des Kindes ist ein Meilenstein in unserer Arbeit für und mit Kindern. […] Die Politik von heute und morgen wird sowohl für als auch gemeinsam mit unseren Kindern gemacht. So stärken wir unsere Demokratien.

Die Strategie diene der Entwicklung gesünderer, resilienter und gleichberechtigter Gesellschaften in Europa, in der alle Kinder einbezogen und geschützt werden sowie zu mündigen Bürger*innen heranwachsen. Sie soll den Schutz und die Beteiligungsmöglichkeiten aller Kinder in der EU sicherstellen und umfasst folgende Themenbereiche: demokratische Teilhabe, inklusive Bildung, Gewaltschutz, kindgerechte Justiz, digitale Sicherheit und Förderung von Kinderrechten weltweit.

Im ersten Themenbereich der EU-Kinderrechtsstrategie wird die Rolle von Kindern als Akteur*innen des Wandels im demokratischen Leben in den Blick genommen. Die Kommission schlägt mehrere Maßnahmen vor, um Kindern mehr Partizipation zu ermöglichen: etwa das Erstellen kinderfreundlicher Rechtstexte und Konsultationen mit Kindern im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas. Die Mitgliedstaaten sollen die Teilhabe von Kindern am bürgerlichen und demokratischen Leben insgesamt fördern.

Das zweite Themenfeld der EU-Kinderrechtsstrategie bezieht sich auf das Recht der Kinder, ihr Potenzial unabhängig von ihrer sozialen Herkunft auszuschöpfen. Wie wichtig es ist die Chancengleichheit von Kindern zu fördern, zeigt sich anhand der Tatsache, dass 2019 fast jedes vierte Kind in der EU von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht war. Die Corona-Pandemie hat dieses Problem der Kinderarmut noch einmal verschärft. Die aktuellen EU-Initiativen sollen dem generationenübergreifenden Kreislauf der Benachteiligung mit nachhaltigen Auswirkungen auf die Kinder entgegenwirken.

Hierzu soll die Europäische Kindergarantie zur Bekämpfung der Kinderarmut und der sozialen Exklusion beitragen. In diesem Kontext setzt sich die Kommission für bessere Standards im Handlungsfeld der FBBE und den Aufbau einer inklusiven, qualitativ hochwertigen Bildung in Europa ein. Konkrete Anregungen hierzu geben der Werkzeugkasten für inklusive Frühe Bildung und Betreuung sowie der Abschlussbericht „Frühe Bildung und Betreuung“ der Arbeitsgruppe zur FBBE der Kommission. Diese Publikationen zeigen auf, wie die Inklusion sowie die Anwerbung, Ausbildung und Motivierung von qualifizierten frühpädagogischen Fachkräften gefördert werden kann. Damit stehen politischen Entscheidungsträger*innen sowie Leitungs- und Fachkräften der FBBE nun neue Instrumente zur Verbesserung der Qualität der Kindertagesbetreuung zur Verfügung.

Im Rahmen der neuen Europäischen Kindergarantie wird den Mitgliedstaaten zudem empfohlen, dass sie Kindern in Not freien und effektiven Zugang zur FBBE gewähren. Diese Dienstleistung soll kostenlos und hilfsbedürftigen Kindern leicht zugänglich sein. Segregierte Klassen sollen in der FBBE vermieden werden. Dass hier in der Tat Handlungsbedarf besteht, zeigt die sich im Zuge der Corona-Krise verschärfte Klassismus-Problematik: Dieses Phänomen manifestiert sich in der Kindertagesbetreuung etwa im erschwerten Zugang zu Kitas für bestimmte gesellschaftliche Gruppen wie Geflüchtete (vgl. Auswertung und Ergebnisse der Online-Umfrage 2020 zur Situation junger Geflüchteter).

Kinder in Not sollen zudem freien und effektiven Zugang zu Bildung und schulbasierten Tätigkeiten, zu mindestens einer gesunden Mahlzeit pro Schultag und zum Gesundheitswesen erhalten. Zudem empfiehlt die Kommission den Mitgliedstaaten, bedürftigen Kindern effektiven Zugang zu gesunder Nahrung auch außerhalb des Schulbereichs und zu angemessenem Wohnraum zu ermöglichen. Bei der Feststellung von Notlagen und der Ausgestaltung ihrer nationalen Maßnahmen sollen die Mitgliedstaaten die besonderen Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund, aus prekären familiären Verhältnissen und Pflegeeinrichtungen berücksichtigen.

Die niedersächsische Ministerin für Jugend und Familie, Daniela Behrens, und die Ministerin für Europaangelegenheiten, Birgit Honé, begrüßen die Europäische Kindergarantie, da sie aus ihrer Sicht einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Kinderarmut darstellt (vgl. Pressemitteilung des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung).

Auch das europäische Netzwerk europäischer Kinderrechtsorganisationen Eurochild begrüßt in seiner Stellungnahme die Kindergarantie und hebt dabei positiv hervor, dass die FBBE in den Blick genommen wird. Sie fordert jedoch eine breitere, umfassendere und multisektionale Annäherung an die Entwicklung von Kindern in ihren ersten Lebensjahren. Die Garantie auf effektiven Zugang zu Gesundheitsversorgung und -vorsorge, gesunde Ernährung und angemessenen Wohnraum müsse auch (gezielte) politische Maßnahmen und Dienstleistungen umfassen zur Unterstützung von Familien und Betreuer*innen mit sehr jungen Kindern, die benachteiligt sowie von Diskriminierung und Ausgrenzung bedroht sind. Mit ihrer aktuellen Kampagne #CanWeBelieveInYou? mahnt Eurochild die effektive Umsetzung der Vorhaben der EU-Kinderrechtsstrategie und Kindergarantie an. Schließlich macht die Organisation darauf aufmerksam, dass bereits 2013 die Empfehlung „Investitionen in Kinder“ angenommen wurde, jedoch seitdem wenig Fortschritte in der Bekämpfung von Kinderarmut und in der Investition in die frühen Lebensjahre verzeichnet wurden. Zudem hat Eurochild eine Übersicht für Kinder veröffentlicht, die aufzeigt, welche Punkte aus der Konsultation mit den Kindern in der EU-Kinderrechtsstrategie berücksichtigt wurden und welche nicht.

Wie sehen die nächsten Schritte aus? Die Umsetzung der Kinderrechtsstrategie wird auf EU-Ebene und auf nationaler Ebene verfolgt. Auf dem jährlichen EU-Forum für die Rechte des Kindes wird die Kommission über die Fortschritte berichten. Ende 2024 findet schließlich eine Evaluierung der Strategie unter Beteiligung von Kindern statt.

Die Empfehlung zur Einführung einer Europäischen Kindergarantie haben die Mitgliedstaaten im Rat der EU, wie von der Kommission gefordert, zügig angenommen. Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hatten die Mitgliedstaaten bereits eine gemeinsame Deklaration veröffentlicht, in der sie ihre Bereitschaft zur Unterstützung der Europäischen Kindergarantie und ihre Verpflichtung für eine angemessene Umsetzung auf nationaler Ebene erklären. Innerhalb von sechs Monaten nach der Annahme der Ratsempfehlung müssen die Regierungen der Kommission nun nationale Aktionspläne zur Umsetzung der Europäischen Kindergarantie vorlegen. Die Kommission wird die Fortschritte der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Kindergarantie im Rahmen des Europäischen Semesters überwachen und gegebenenfalls länderspezifische Empfehlungen geben.

Weitere Informationen finden Sie in unserem Blogbeitrag über europäische Impulse zur Stärkung der Kinderrechte und auf folgenden Seiten: