Stimmen aus der Wissenschaft: Prof. Dr. Samuel Jahreiß

Dr. Samuel Jahreiß ist Professor für Soziale Arbeit und Leiter der dualen Studienrichtung Bildung und Erziehung in der Kindheit an der Berufsakademie Sachsen — University of Cooperative Education. Als Erzieher und Kindheitspädagoge kennt er die Herausforderungen, Probleme und „Fallstricke“ einer partizipativen Zusammenarbeit mit Eltern und Familien auch aus der Praxis. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Zusammenarbeit mit Eltern und Familien in Kindertageseinrichtungen, Umgang mit sprachlich-kultureller Heterogenität sowie Professionalisierung pädagogischer Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen.
 

Kinder haben das Recht auf Beteiligung in der KiTa, aber ebenso ist die Beteiligung von Eltern gesetzlich verankert. Warum ist es wichtig auch Eltern demokratische Partizipation zu ermöglichen?

Kinder verbringen immer mehr Zeit in der institutionellen Erziehung, Bildung und Betreuung. Die KiTa übernimmt somit mehr und mehr Aufgaben, die früher allein von den Familien zu stemmen waren. Dies entlastet Eltern beziehungsweise Erziehungsberechtigte und ermöglicht ihnen, Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Zugleich bietet die KiTa den Kindern vielfältige Lern- und Bildungsmöglichkeiten. Ein echtes Erfolgskonzept, wenn man bedenkt, dass die KiTa - anders als die Schule - keine verpflichtende Bildungsinstitution ist. Aber auch wenn die KiTa zumindest zeitweise einen Teil der Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsaufgaben von Familien übernimmt, bleiben schlussendlich die Erziehungsberechtigten die primär Verantwortlichen für ihre Kinder und das Elternhaus der zentrale Lern- und Bildungsort für Kinder. Genau deshalb müssen die Erziehungsberechtigten in den wichtigen Angelegenheiten der Erziehung, Bildung und Betreuung informiert und beteiligt werden. Wer zum Wohle der Kinder handeln möchte, kommt nicht ohne die Eltern der Kinder aus.
 

Welche Methoden oder Konzepte eignen sich für eine gelingende Elternpartizipation? Wie müssen die Rahmenbedingungen dafür gestaltet sein?

In vielen Bundeländern hat sich das Konzept der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft etabliert. Eine intensive Dialogorientierung und elterliche Partizipation sind wichtige Bestandteile dieses Konzeptes. Methodisch wird auf bereits etablierte Formen des Informationsaustausches, wie beispielsweise Tür-und-Angel-Gespräche, und darüber hinaus auf mehr oder weniger etablierte Formen der Beteiligung gesetzt, wie etwa Elternbefragungen. Noch einen Schritt weiter gehen Einrichtungen dann, wenn die demokratischen Partizipationsmöglichkeiten von Erziehungsberechtigten und Kindern transparent in einer verbindlichen KiTa-Verfassung verankert werden. Hier sollte auch festgehalten werden, bei welchen Aspekten sich Eltern und Kinder beteiligen können oder nur informiert werden. Eine solche partizipative Elternzusammenarbeit kostet viel Zeit und auch Geduld und anders als in der pädagogischen Arbeit mit den Kindern zeigen sich die Erfolge nicht so schnell. Mehr Vorbereitungszeit und ein krisenfester Personalschlüssel, der berücksichtigt, dass nicht immer alle Fachkräfte zur Verfügung stehen, sind hilfreiche Rahmenbedingungen.
 

Welche Grenzen gibt es bei der Partizipation von Eltern?

In einer partizipativen Elternzusammenarbeit tun sich mindestens drei immer wiederkehrende Herausforderungen auf: (1) Wie damit umgehen, wenn Erziehungsberechtigte Bedürfnisse hervorbringen, die nicht vereinbar sind mit den Erziehungsvorstellungen der Einrichtung? (2) Wie damit umgehen, wenn Erziehungsberechtigte ein korrekturbedürftiges Erziehungshandeln zeigen? (3) Wie damit umgehen, wenn die Bedürfnisse von Erziehungsberechtigten und Kindern nicht vereinbar sind? Pädagogische Fachkräfte kennen diese Situationen und müssen hier täglich unter Berücksichtigung aller Interessenlagen Lösungen finden. Meiner Erfahrung nach gelingt eine partizipative Zusammenarbeit immer dann am besten, wenn Erziehungsberechtigte und die KiTa ähnliche Vorstellungen von Erziehung, Bildung und Betreuung haben. Wenn man sich also auf der gleichen Wellenlänge befindet. Dies ist natürlich nicht immer der Fall und auch keine realistische Ausgangslage. Zu einer gelebten partizipativen Zusammenarbeit mit Eltern gehört es somit auch, nicht akzeptable Anliegen zurückzuweisen oder zwischen den Bedürfnissen der an der Erziehung Beteiligten zu vermitteln. Der Schutz- und Fürsorgeauftrag kann beispielsweise eine solche Grenze bei demokratischen Mitentscheidungen sein oder wenn individuelle Bedürfnisse mit den Bedürfnissen der Gemeinschaft kollidieren. Diese Grenzen müssen allerdings durch die Fachkräfte nachvollziehbar begründet werden und die Betroffenen müssen auch die Möglichkeit haben, gegen Grenzen zu protestieren und auch in den demokratischen Gremien der KiTa Grenzveränderungen einzufordern.
 

Wie kann die Zusammenarbeit mit vielfältigen Familien gestaltet werden? Worauf ist dabei zu achten?

In der KiTa treffen Menschen aus verschiedenen sozialen Settings aufeinander. Somit finden sich hier auch vielfältigste Familienformen. Meiner Erfahrung nach besteht die größte Problematik darin, wenn Fachkräfte die eigenen implizit erworbenen Vorstellungen von Familien nicht kritisch reflektieren. Aus diesem Grund ist die biographische Reflexion der eigenen Kindheit und das Aufwachsen in der Familie in Studium und Ausbildung von pädagogischen Fachkräften so wichtig. Ich erlebe in meiner Lehrtätigkeit, dass gerade zu Beginn des Studiums die eigene Erfahrung in der Familie als „normal“ gesetzt wird. Hieraus entsteht nicht zwingend auch diskriminierendes Handeln. Die Kategorie „normal“ oder „nicht normal“ ist jedoch hoch problematisch und kein Ausgangspunkt für eine professionelle Elternzusammenarbeit. Wenn man aber offen und wertfrei den persönlichen Kontakt mit allen Erziehungsberechtigten der Einrichtung sucht, kann eine echte partnerschaftliche Zusammenarbeit zum Wohle des Kindes entstehen. Folgende vier Reflexionsfragen können behilflich sein: (1) Gelingt es mir, den unterschiedlichen Lebensweisen von Familien vorurteilsfrei zu begegnen? (2) Gelingt es mir, andere Erziehungsvorstellungen zu akzeptieren und zugleich die Erziehungsvorstellung der Einrichtung transparent zu machen? (3) Gelingt es mir, Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken ohne dabei ihre grundsätzliche Erziehungsverantwortung infrage zu stellen? (4) Gelingt es mir, zwischen den Interessen und Bedürfnissen von Eltern, Kindern und KiTa zu vermitteln und einen gemeinsamen Weg zu finden? Dabei gilt es stets sich selbst zu hinterfragen, wann diese Herausforderungen schwierig sind und was hilft sie zu bewältigen.
 

Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Eltern im Zuge der Corona-Pandemie verändert? Gibt es positive Erfahrungen aus dieser Zeit, die weitergeführt werden sollten?

Die Elternzusammenarbeit ist durch die Corona-Pandemie digitaler geworden. Zahlreiche Einrichtungen haben neue digitale Kommunikationswege für sich entdeckt. Heute haben KiTas in der Regel die E-Mail-Adressen von allen Erziehungsberechtigten, was vor der Pandemie nicht der Fall war. Auch haben manche Einrichtungen spezielle Apps für die Elternkommunikation implementiert oder bieten Elternabende als Online-Meetings an. Solche digitalen Kommunikationsmöglichkeiten mit den Eltern können sehr hilfreich sein, wenn es darum geht generelle Informationen der Einrichtung weiterzugeben. Wir wissen aber auch aus der Forschung, dass sich Eltern bei kindbezogenen Informationen eher das persönliche Gespräch wünschen. Das persönliche Gespräch wird somit auch in post-pandemischen Zeiten nicht überflüssig werden. Letztlich stellen die neuen digitalen Kommunikationswege eine gute Ergänzung zu den bestehenden analogen Formen der Elternzusammenarbeit dar und erleichtern vielen Familien den Informationsaustausch mit der KiTa.


Vielen Dank für das interessante Gespräch!

© Prof. Dr. Samuel Jahreiß