Stimmen aus der Praxis: Kerstin Schorer-Hach und Simeon Friedrich

Kerstin Schorer-Hach arbeitet seit 1993 beim Verein mobile spielaktion, der außerschulische kulturelle Kinder und Jugendbildung umsetzt. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Konzeption und Begleitung von Partizipationsprojekten für Kinder und Jugendliche, insbesondere die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an kommunalen Planungsprozessen im Rahmen der Spielraumleitplanung der Stadt Trier. Außerdem leitet sie die Geschäftsstelle des Trierer Jugendparlamentes und unterstützt das gewählte Gremium bei Projekten und in der kommunalpolitischen Arbeit.

Simeon Friedrich ist Diplom-Ingenieur für Raum- und Umweltplanung und seit 2012 im Jugendamt der Stadt Trier für das Sachgebiet Sozialraumplanung zuständig. Zu seinen Aufgabenschwerpunkten zählen Gemeinwesenarbeit, Stadtteilnetzwerke, Bürgerhäuser und Spielraumleitplanung. Bei Planungen und Projekten des Baudezernats vertritt er die Fachbelange des Sozialdezernats und vermittelt dabei besonders die Kinder- und Jugendanliegen. 

Kerstin Schorer-Hach und Simeon Friedrich sind zusammen mit einem Kollegen vom Amt StadtRaum Trier in der ämterübergreifenden Arbeitsgemeinschaft (AG) „Spielraum und Wohnumfeldgestaltung“ zur Erstellung und Umsetzung der Spielraumleitplanung in der Stadt Trier tätig.
 

Bereits seit 1995 beziehen Sie Kinder in die Planungsverfahren von Spielräumen in Trier ein. Wie kam es dazu? 

Kerstin Schorer-Hach: Unser Verein mobile spielaktion kommt aus der Tradition der Spielmobile. Wir sind ein Träger der außerschulischen kulturellen Kinder- und Jugendbildung und führen dezentral Spielaktionen zu allen möglichen Themen auf Spielplätzen oder Schulhöfen durch. Als das Kinder- und Jugendhilfegesetz/SGB VIII 1990/1991 in Kraft trat, wurde erstmals festgehalten, dass Kinder und Jugendliche an allen sie betreffenden Entscheidungen auf angemessene Art und Weise beteiligt werden sollen. Vor diesem Hintergrund haben wir überlegt, wie wir Kindern die Bildungsinhalte „Politik“ und „Beteiligung“ altersgemäß vermitteln können. Hierzu entwickelten wir das „Mobile Kinderbüro und Kinderforum“: Kinder konnten in kleinen Gruppen ihren Stadtteil erforschen und im Plenum gemeinsam entscheiden, was das wichtigste Thema für sie ist. Zu diesem haben sie dann ein Kinderforum vorbereitet, bei dem die Problematik mit Verantwortlichen der Stadtverwaltung besprochen wurde. Themen waren z. B. Spielplätze, die nur für Kleinkinder attraktiv sind oder Zebrastreifen, die aus Sicht der Kinder an der falschen Stelle waren. Ziel des Kinderforums war es in erster Linie unterschiedliche Sichtweisen aufzeigen und sich auf Augenhöhe darüber zu verständigen. Zuvor waren Kinder und Jugendliche mit ihren Bedürfnissen kaum präsent in Stadt- oder Verkehrsplanung. Das hat durchaus zu einigen „Aha-Effekten“ – auf beiden Seiten – geführt.

Simeon Friedrich: In der Stadt Trier hat die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips eine lange Tradition. Viele Aufgaben werden an freie Träger der Wohlfahrtspflege übertragen. In Bezug auf die Spielraumleitplanung war es daher naheliegend, aufgrund seiner umfassenden Expertise den Verein mobile spielaktion mit den anstehenden Aufgaben zu betrauen. Die Fachkolleg*innen führen im Auftrag des Jugendamts und auf Basis von Ziel- und Leistungsvereinbarungen die wesentlichen Planungsschritte durch und stimmen sie in der AG Spielraum mit den zuständigen Mitarbeitenden der Stadtverwaltung ab. Die Ergebnisse der Spielraumleitplanung in Form der stadtteilbezogenen Spielraumanalysen werden den politischen Fachgremien vorgelegt. Auf diese Weise wird der 1995 getroffenen Selbstverpflichtung der Stadt, die Spielraumleitplanung als Teilplan des Kinder- und Jugendförderplans durchzuführen, Rechnung getragen. Mit den Änderungen durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz von 2021 wurde die Pflicht zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen nochmal deutlich herausgestellt: So ist in § 45 Abs. 2 Ziffer 4 SGB VIII formuliert, dass zur Gewährleistung des Kindeswohls und der Kinderrechte nun „geeignete Verfahren der Selbstvertretung und Beteiligung“ von Kindern „innerhalb und außerhalb der Einrichtung“ sichergestellt werden müssen. 
 

Auf welchen Konzepten und Methoden basiert die Umsetzung? Und welche Akteur*innen sind neben den Kindern noch beteiligt?

Kerstin Schorer-Hach: Wichtig ist uns, bei den Kindern keine falschen Erwartungen hinsichtlich der Umsetzung ihrer Wünsche zu wecken. Ebenso wollen wir die beteiligten Erwachsenen aus Politik und Verwaltung nicht unter Druck zu setzen, Versprechen zu machen, die nicht eingehalten werden können. 

Als gute Möglichkeit miteinander ins Gespräch zu kommen, haben sich Pläne erwiesen. Mit den Kindern gestalten wir einen großen Stadtplan, der eine Bestandsaufnahme aus Kindersicht darstellt: Dort können die Kinder kennzeichnen, wo sie wohnen, wo sie zur Schule oder in den Kindergarten gehen, wo sie gerne spielen und wo nicht. Für die Kinder ist das sehr wertvoll, weil sie sich mit anderen vergleichen können, merken, dass sie ähnliche Interessen und Probleme haben oder neue Spielorte entdecken. Im Austausch mit den Erwachsenen vermittelt dieser Plan dann Sicherheit. Den Mitarbeitenden aus der Verwaltung ist die Arbeit mit Plänen vertraut. Besprochen werden kann dann beispielsweise eine Häufung von roten Gefahrenpunkten an einem Zebrastreifen, wie eine Bepflanzung, die für Kinder die Einsicht in den Straßenverkehr behindert, für Erwachsene aber einfach nur ein schöner blühender Strauch ist. An das gemeinsame Gespräch schließen sich häufig Rundgänge durch den Stadtteil an, um bestimmte Situationen vor Ort zu besprechen: Daraufhin wurde z. B. die Bepflanzung zurückgeschnitten. Über die Jahre ist es so gelungen, die Vorbehalte gegen die Beteiligung von Kindern zu entkräften und die verschiedenen Ämter für die Belange von Kindern zu sensibilisieren.  

Ein nächster Schritt war dann, Kinder konkret an einzelnen Planungsvorhaben zu beteiligen. Seit 1995 werden alle neuen städtischen Spielplätze mit Kindern aus dem Umfeld geplant. Unser Fokus bei allen Planungsprozessen liegt auf der Kindersicht. In der Regel können die Kinder sehr gut begründen, warum sie sich bestimmte Spielinhalte für den neuen Spielplatz wünschen oder einzelne Aktivitäten ablehnen. Unsere Erfahrung zeigt, dass auch Kita-Kinder durchaus in der Lage sind, sich in ihre Geschwister hineinzuversetzen und die Bedürfnisse von Bezugspersonen wahrzunehmen. Der anschließende Austausch mit den Kita-Fachkräften stellt sicher, dass die Aussagen der Kinder in den richtigen Kontext eingeordnet werden oder hilft bei Verständnisproblemen. Im Laufe des Beteiligungsprozesses erhalten auch Eltern die Möglichkeit, sich einzubringen. Hierbei erleben wir immer wieder, dass die Ansprüche von Erwachsenen und Kindern nicht unbedingt deckungsgleich sind. So sind die eingebrachten Sichten der Erwachsenen zusätzliche Facetten, die die Aussagen der Kinder aber nicht ersetzen können.

Simeon Friedrich: Innerhalb der Stadtverwaltung ist es gerade dem Jugendamt ein besonderes Anliegen, die Belange der Kinder auch in anderen Fachbereichen zu vertreten und die Fachkolleg*innen für die Übernahme der Kindersicht zu sensibilisieren. In dezernats- und ämterübergreifenden Abstimmungsrunden werden daher immer wieder die Ergebnisse der Spielraumleitplanung und die von den Kindern formulierten Bedarfe kommuniziert. Im Baudezernat etwa sind Beteiligungsstrukturen gesetzlich vorgeschrieben, aber spezielle Kinderbeteiligungen erfolgen meist nicht. Mit unserem Ansatz können wir hier Brücken bauen und gegenseitiges Verständnis fördern. Die Brücken bauen wir aber nicht nur innerhalb der Verwaltung, sondern auch in Richtung der Fachbüros für Planung und Bau sowie zu den verschiedenen Akteur*innen in den Stadtteilen. Da in den Stadtteilnetzwerken auch Kitas und andere kinder- und jugendbezogene Einrichtungen vertreten sind, ergeben sich gute Schnittstellen bei der Bearbeitung von konkreten Projekten und der hierfür erforderlichen Berücksichtigung der Kinderinteressen.
 

Bisher werden in Kommunen vor allem Kinder ab dem Schulalter beteiligt. Im Rahmen der Planung und Bewertung von Spielräumen in Trier können aber auch schon Kita-Kinder partizipieren. Wie geschieht das konkret? Können Sie ein Beispiel aus der Praxis nennen?

Kerstin Schorer-Hach: Wir haben in Trier als Grundlage der Spielplatzplanungen die „Leitlinien Inklusion auf Kinderspielplätzen“ im Stadtrat verabschiedet. Diese verpflichten uns, Spielplätze für alle Kinder zu gestalten, weshalb auch möglichst viele bei der Planung miteinbezogen werden sollen. Bei unserer letzten Spielplatzplanung in einem Stadtteil mit erhöhtem sozialem Entwicklungsbedarf haben wir eng mit den Kinder- und Jugendeinrichtungen vor Ort zusammengearbeitet. Da die meisten Kinder ganztags betreut werden, sollte sich der neu zu planende städtische Spielplatz deutlich von den Spielanlagen der Einrichtungen unterscheiden. Um die Bedarfe der Kinder einzuholen, sind wir mit Bildkarten unterwegs gewesen, die unterschiedliche Aktivitäten und Bewegungsformen abgebildet haben. Die Kinder haben uns erzählt, was sie wo am liebsten machen, welche Aktivitäten im Umfeld bisher nicht möglich sind und was ihnen fehlt. Dabei hat sich z. B. eine Vorschulgruppe eingebracht, in einer anderen Einrichtung haben wir alle Kinder einer Kita-Gruppe in Kleingruppen befragt. Auch im Kinderhort und im nahegelegenen Jugendzentrum konnten wir unsere Befragungen durchführen. Und genau diese Ergebnisse waren dann Vorgabe für das beteiligte Planungsbüro.  

Ähnlich verfahren wir auch bei der Spielraumleitplanung. Fester Bestandteil der Bewertung ist neben der Bestandsaufnahme der Spiel- und Wohnumfeldbedingungen im Stadtteil aus Erwachsenensicht auch die Bestandsaufnahme aus Kindersicht. Erst im Zusammenspiel der beiden Perspektiven werden die jeweiligen Handlungsbedarfe und Weiterentwicklungspotentiale für den Stadtteil formuliert.

Simeon Friedrich: Die bereits genannte AG Spielraum setzt sich aus den zuständigen Mitarbeitenden verschiedener Fachämter unterschiedlicher Dezernate sowie des Vereins mobile spielaktion zusammen. Die Kerngruppe bilden je ein*e Vertreter*in des Jugendamts, des Amts StadtRaum sowie vom Verein mobile spielaktion. Im Rahmen der AG-Arbeit werden die verschiedenen Schritte der Spielraumleitplanung koordiniert und inhaltlich abgestimmt. So können die oben genannten Partizipationsergebnisse der Kinder kontinuierlich berücksichtigt werden. In den Fachgremien werden die Bestandsaufnahmen aus Kindersicht stets eigenständig vorgestellt. Es soll deutlich werden, dass es gerade im Bereich der Planung nicht nur die Sicht der Erwachsenen zu berücksichtigen gilt.
 

Welche Erfahrungen haben Sie im Laufe der Zeit mit der Partizipation von Kindern in kommunalen Planungsprozessen gemacht? Wie nehmen Kinder und Eltern aber auch die pädagogischen Fach- und Leitungskräfte diese Beteiligungsmöglichkeiten wahr? 

Kerstin Schorer-Hach: In den letzten Jahren haben sich viele Einrichtungen auf den Weg gemacht, so früh wie möglich Demokratiebildung im Kita-Alltag umzusetzen. Gerade Einrichtungen, die bereits Erfahrung mit Kinderkonferenzen oder Kinderräten haben, sind sehr offen für den „Blick über den Tellerrand“ hinaus. Die Kinder freuen sich sehr, wenn ihre Expertise nachgefragt und anerkannt wird. Dabei können sie sehr gut zwischen ernsthaftem Erkenntnisinteresse und vorgeschobener Alibi-Beteiligung unterscheiden. Den Eltern fällt es mitunter am schwersten, die Rolle als „Anwalt“ ihres Kindes aufzugeben und darauf zu vertrauen, dass Kinder ihre Interessen selbst vertreten können und mit ihren Ideen ernst genommen werden. Auch die Kita-Fachkräfte erhalten bei den Planungsaktionen die Möglichkeit, „ihre“ Kinder in einer anderen Rolle zu erleben: Da fordert die größte Rabaukin viele Mülleimer, damit möglichst viel Müll auch weggeworfen wird, der schüchterne Vierjährige wünscht sich einen hohen Aussichtsturm, um einmal größer als seine Eltern zu sein. Besonders spannend wird es, wenn Kompromisse ausgehandelt werden müssen, weil die verfügbare Fläche oder die Finanzplanung nicht alle Wünsche ermöglicht. Meist können die Kinder ihre Meinung sehr gut begründen. Von KiTa-Seite erhalten wir immer wieder die Rückmeldung, dass sie den Kindern eine solch reflektierte Auseinandersetzung nicht zugetraut hätten.
 

Woran liegt es, dass (Kita-)Kinder bisher noch selten außerhalb ihrer Einrichtungen in für sie relevante sozialräumliche Planungen einbezogen werden? Welche Anregungen können Sie Kommunen geben, die sich auf den Weg machen wollen, dies zu ändern? 

Kerstin Schorer-Hach: Vielfach gibt es noch Vorbehalte auf der Seite der Planenden. Sollen Kinder mit einbezogen werden, braucht es neue Ideen und Methoden, andere Herangehensweisen. Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist es zu übersetzen oder zu vermitteln: Wir müssen den Kindern mit altersgerechten Worten und Methoden das Planungsvorhaben vorstellen. Anschließend müssen die Ergebnisse der Kinderbeteiligung in die Planungssprache übersetzt werden. Um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass eine Beteiligung von Kindern ein Projekt nicht zwangsläufig komplizierter oder teurer macht, braucht es auch Vertrauen in die handelnden Personen.

Hinzu kommt, dass kommunalpolitische Prozesse mitunter sehr langwierig sind. Beteiligt man Kinder, muss am Ende immer ein greifbares Ergebnis stehen, auf das alle stolz sein können. Deshalb macht es Sinn, einen Prozess in überschaubare Projektschritte zu unterteilen und vorab zu überlegen, an welchen Stellen Kinder beteiligt werden können. 

Simeon Friedrich: In der Vergangenheit hat sich leider immer wieder gezeigt, dass Kinder- und Jugendbeteiligung belächelt worden ist, als überflüssig angesehen oder nicht kind- und jugendgerecht durchgeführt wurde. Dies hat sich glücklicherweise in den letzten Jahren geändert, die Bereitschaft zur Durchführung zielgruppengerechter Beteiligungen ist allgemein gewachsen. Aber wir seitens des Jugendamts sind weiterhin gefordert, in anderen Ämtern die Chancen der Einbindung von Kindern in Planungsprozesse zu betonen und bei der Durchführung von entsprechenden Aktionen zu vermitteln. So gelang es uns, dass die Durchführung von Kinderbeteiligungsaktionen als fester Baustein der Spielplatzplanung anerkannt worden ist.


Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!

© Kerstin Schorer-Hach und Simeon Friedrich

Kontakt

Kerstin Schorer-Hach 
mobile spielaktion e.V.
kerstin.schorer-hach(at)spielaktion.de

Simeon Friedrich
Stadtverwaltung Trier
simeon.friedrich(at)trier.de