Stimmen aus der Praxis: Dr. Carsten Püttmann

Carsten Püttmann ist Fachleiter zur Koordination der Fachschule für Sozialpädagogik am Berufskolleg der Marienschule Lippstadt und unterrichtet dort angehende Erzieher*innen in unterschiedlichen Lernfeldern. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem (sozial-) pädagogischen Handeln in Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe und deren Rahmenbedingungen. Er ist darüber hinaus als langjähriger Dozent in der Lehrerbildung an den Universitäten Münster, Dortmund und Paderborn sowie als Autor und (Mit-) Herausgeber von Arbeiten zur Empirischen Forschung sowie Didaktik und Methodik tätig.
 

Warum sollte der Erwerb von Kompetenzen in demokratie- und vielfaltsorientierter Pädagogik schon in der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte erfolgen? Inwiefern liegt darin auch eine Professionalisierungschance für sozialpädagogische Studien- und Ausbildungsgänge?

Ausgehend vom Kompetenzorientierten Qualifikationsprofil für die Ausbildung von Erzieher*innen an Fachschulen bzw. Fachakademien der Kultusministerkonferenz vom 01.12.2011 ist es dem gesellschaftlichen Wandel geschuldet, dass Querschnittsaufgaben in der Ausbildung sozialpädagogischer Fachkräfte besondere Bedeutung erlangen. »Partizipation«, »Inklusion« und »Werteerziehung« können hier als Zugang zu »Vielfalt und Beteiligung in der fachschulischen Ausbildung« grundgelegt werden.

Partizipation als Querschnittsaufgabe meint die Entwicklung einer Haltung, die auf eine Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen des öffentlichen Lebens abzielt, mit dem Ziel einer demokratischen Teilhabe an der Gesellschaft. Diese Beschreibung folgt damit gemäß §8 SGB VIII (Beteiligung von Kindern und Jugendlichen).

Die Frage nach dem »warum« ist meines Erachtens damit curricular schon beantwortet.

Holger Küls und ich haben in einem Aufsatz aus dem Jahr 2020 darauf hingewiesen, dass Diversität und Heterogenität in Fachschulklassen eine didaktische Herausforderung in der Erzieher*innenausbildung darstellen. Demnach sind Lehrkräfte der Sozialpädagogik in zweierlei Hinsicht mit dem Gegenstand Diversität konfrontiert: (1) auf einer didaktisch-curricularen und didaktisch-inhaltlichen Ebene: Diversität, im Sinne von Vielfalt, ist Gegenstand des Unterrichts. (2) auf einer didaktisch-methodischen Ebene: Die Wissensbasis, die kognitiven Voraussetzungen, die Motivation, das Alter, das Geschlecht oder der kulturelle Hintergrund seien hier als Beispiele im Sinne der Unterschiedlichkeiten innerhalb der Lerngruppe benannt.

Damit hätten wir zudem eine didaktisch-methodische Antwort auf das »warum?«.

Berufsperspektivisch: Die pädagogische Frage stellt Volker Ladenthin so: „Wie führe ich jemand anderen unter Achtung seiner Person (Freiheit, Würde) zu geltend sollenden Einsichten, die sein Leben gelingen lassen?“ Das „Wie?“ bei Ladenthin betont die Beachtung von Sachlichkeit und Sittlichkeit auf inhaltlicher, methodischer und beziehungsgestalterischer Ebene. Diese Frage hat sich meines Erachtens jede pädagogische Fachkraft zu stellen. Dahinter steckt auch die Frage nach dem Umgang mit Macht, nach dem Zutrauen, welches ich den Kindern entgegenbringe und nach dem gemeinsamen Zusammenleben.
 

Wie werden Demokratie und Vielfalt bereits in der Ausbildung von frühpädagogischen Fachkräften erfahrbar gemacht? Inwiefern sind diese Themen in der Ausbildung strukturell und institutionell verankert? Wo besteht Nachholbedarf?

Die Frage kann ich nur ganz persönlich beantworten. Curricular verankert sind in Nordrhein-Westfalen die Inhaltsfelder wie zum Beispiel »Modelle und Methoden der partizipativen pädagogischen Arbeit«, »Pädagogische Handlungskonzepte zur Förderung und Gestaltung von Inklusion in ausgewählten Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe wie Pädagogik der Vielfalt, vorurteilsbewusste Erziehung« oder »rechtliche Rahmenbedingungen der Inklusion wie UN-Kinderrechtskonvention, UN-Konvention Inklusion, SGB VIII, SGB IX«. Damit möchte ich zum Ausdruck bringen, dass Demokratie und Vielfalt per se inhaltlich auf der Agenda stehen.

Die Aufmerksamkeit möchte ich aber auf die Ausbildungsidee einer integralen Persönlichkeitsentwicklung richten. Im Zentrum der Auseinandersetzung mit pädagogischem Handeln oder den benannten Inhaltsfeldern in der Ausbildung von Erzieher*innen stehen das Handeln und Wirken professioneller Erzieher*innen, die per gesetzlichem Auftrag Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung begleiten sollen. Das Handeln der Lehrkraft soll für das Handeln der angehenden pädagogischen Fachkräfte eine Art Modell sein. Demzufolge ist das Handeln der Lehrkraft im Unterricht eine wichtige Ausgangsperspektive, um Demokratie und Vielfalt erfahrbar zu machen. Schulen – und damit auch die Fachschulen/Fachakademien für Sozialpädagogik – gelten nicht als Ort gelebter Demokratie, sind die »Machtverhältnisse« doch klar definiert. Hier zeigt sich, wie zivil Schulen sind. Demokratie lässt sich in Schulen bezogen auf Regeln der Transparenz und Fairness hin betrachten. Hier gibt es sicherlich einen großen Nachholbedarf. Schüler*innen erleben mit Honneth die Schule noch allzu oft als Ort der Nichtanerkennung. So betrachtet können Schulen einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer demokratischen Haltung leisten, indem Sie zum Beispiel die Vielfalt, die die Lernenden mitbringen, wertschätzen. Das schließt auch die Idee der individuellen Begleitung von Lern- und Bildungsbiographien mit ein.
 

Wie steht es um den Theorie-Praxis-Transfer? Welche Rolle nehmen hierbei Fachschulen als Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis ein? Gibt es bereits Good-Practice-Beispiele für eine partizipativ angelegte Lernortkooperation zwischen Fachschule und Praxiseinrichtung?

Lehrkräfte können sich als Lernende der eigenen Profession ihren Schüler*innen gegenüber zeigen, indem sie über transparente Noten oder Kriterien der Leistungsbeurteilung in einen echten Dialog mit ihren Schüler*innen treten.

»Partizipation« ist als Querschnittsaufgabe und als Gegenstand des Unterrichts fest verankert. Die Thematisierung im Unterricht führt bei den Lernenden, im Sinne der doppelten Vermittlungspraxis, nicht zuletzt zu einem anderen Blick auf den erlebten Unterricht und auf die Kita, also den Lernort Praxis. An beiden Lernorten, Schule und Praxis, gilt es die verschiedenen Möglichkeiten von partizipativem Handeln gleichermaßen in den Blick zu nehmen, um die angehenden Fachkräfte auf einen herausfordernden Kita-Alltag vorzubereiten.

Wir versuchen die Idee der »gemeinsam verantworteten Ausbildung« zu etablieren. Schüler*in, Praxismentor*in und Lehrkraft stehen diesem Gedanken folgend im engen Austausch über den individuellen Ausbildungsplan der Schülerin bzw. des Schülers – immer unter dem Aspekt, was kann ich in meiner individuellen Rolle zum Wohle der Schüler*in beitragen und verantworten, was aber auch nicht. In diesem Format des Praxisgesprächs sind alle Lernende und Lehrende zugleich und suchen nach einem gemeinsamen Weg. Hier sind im besonderen Maße kommunikative und reflexive Fähigkeiten und Fertigkeiten aller Beteiligten gefragt. Einen solchen Dialog zu ermöglichen, ist meines Erachtens Aufgabe der Fachschule als koordinierende Instanz und obliegt damit den Lehrkräften.
 

Inwieweit kommen digitale Medien in der Aus- und Fortbildung frühpädagogischer Fachkräfte bereits zum Einsatz? Wie offen ist das Lehrpersonal und die (angehenden) Fachkräfte hierfür? Wo gibt es noch Verbesserungspotential?

Die Digitalisierung schwebte in meiner Wahrnehmung schon lange Zeit über der Schullandschaft. Die Notwendigkeit der Einbindung digitaler Medien in die Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte ist durch die Corona-Pandemie offen sichtbar geworden. Das hat weniger mit dem Berufsfeld zu tun als vielmehr mit der Aufrechterhaltung des Unterrichts. Auch hier kann ich im Kern nur über meine eigenen Erfahrungen sprechen. Als Verband der Pädagogiklehrer*innen haben wir mit dem ersten Schul-Shutdown im März 2020 begonnen, gezielte Fortbildungen für den Pädagogikunterricht anzubieten, in denen – ausgehend vom Szenario eines videokonferenzgestützten Unterrichts – Apps und Tools vorgestellt, ausprobiert und an einem exemplarischen Gegenstand in einem Unterrichtssetting erprobt wurden. Diese Veranstaltungen waren immer sehr schnell ausgebucht und haben hohen Zuspruch erhalten.

Der Einsatz digitaler Medien im Unterricht setzt eine Infrastruktur voraus, die nicht allen Ortes anzutreffen ist. Das scheint die größte Herausforderung zu sein. Selbst, wenn das Geld zur Verfügung steht, gibt es deutliche Engpässe was Handwerker*innen oder die Lieferung von Geräten betrifft. Ich beobachte, dass die Kollegien versuchen, das umzusetzen, was möglich ist. Hier eine Wertung vorzunehmen, möchte ich mir nicht anmaßen.
 

Inwiefern können digitale Angebote zur Demokratie- und Vielfaltsbildung von angehenden frühpädagogischen Fachkräften beitragen?

Digitale Medien gehören zu den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen dazu. Insofern kommen wir nicht daran vorbei, digitale Angebote in den Unterricht einfließen zu lassen. Auszubildende fühlen sich, so meine Beobachtung, in ihrer Lebenswelt angesprochen, erfahren weniger den kritischen Zeigefinger der Erwachsenen und erleben sich als (Mit-)Gestalter der sie umgebenden (Lern-)Umgebung. Der Unterricht wird dadurch vielfältiger und lebendiger.

Bardo Herzig und Alexander Martin haben auf dem Pädagogiklehrer*innentag 2020 jüngst explizit darauf hingewiesen, dass ein grundlegendes Ziel politischer Bildung die Befähigung zur mündigen Teilhabe an gesellschaftlichen und politischen Prozessen sei. Da wir in einer zunehmend von digitalen Medien geprägten Welt leben, hängt die Realisierung eigener Zielvorstellungen auch davon ab, inwieweit Kompetenzen in der Nutzung von und in der Reflexion über Medien vorhanden sind. Dies erscheint mir für die Ausbildung von Erzieher*innen ganz entscheidend zu sein. Politische Bildung, damit eingeschlossen Demokratie- und Vielfaltbildung, und Medienbildung stehen meines Erachtens in einer engen Wechselbeziehung zueinander. Bestes Bespiel liefert hier die jüngste Beobachtung zu den Präsidentschaftswahlen in den USA. Erzieher*in sein, bedeutet für mich auch, politisch aktiv zu sein – ohne das jetzt hier vertiefen zu wollen.

 

Herzlichen Dank für das inspirierende Gespräch!

 

 

©Dr. Carsten Püttmann