Stimmen aus der Praxis: Claudia Busch

Claudia Busch ist ausgebildete Erzieherin und leitet seit 2015 den FRÖBEL Kindergarten Pfiffikus in Kerpen. Zu den Schwerpunkten der Pädagogik ihrer Kita gehören Demokratiebildung, Medienpädagogik sowie Inklusion und Vielfalt. Mit diesem pädagogischen Profil haben sich Claudia Busch und ihr Team für den Deutschen Kita-Preis 2019 beworben und erreichten eine Nominierung ihrer Einrichtung als "Kita des Jahres". Darüber hinaus ist sie auch als Autorin von Fachbeiträgen tätig.

 

(Digitale) Medienbildung ist ein fester Bestandteil der pädagogischen Arbeit in Ihrer Kita. Wie kam es dazu? Gab es am Anfang Skepsis oder Einwände der Erzieher*innen und Eltern?

FRÖBEL hat sich als Träger schon frühzeitig auf den Weg gemacht und sich mit Blick auf die Digitalisierung engagiert: Einrichtungen und Fachkräfte wurden mit Endgeräten, digitalen Tools und Software ausgestattet. Zudem wurden überregionale Austauschformate und Fortbildungen angeboten, um gemeinsam zu überlegen, wie eine kreative und reflektierte Medienbildung in der Kita aussehen soll.

Für uns begann alles 2017 mit dem FRÖBEL-Lab Digitale Medien in der frühpädagogischen Praxis: Dort haben sich Kolleg*innen mit der Frage auseinandergesetzt, wie digitale Medien in der Bildungseinrichtung Kita genutzt werden können, damit Kinder einen sinnvollen Umgang mit ihnen lernen. Die Kolleg*innen konnten sich über mehrere Tage mit verschiedenen Medien und Apps, aber vor allem auch mit einem sinnvollen Umgang damit beschäftigen. Im Anschluss haben wir die Inhalte bei einem Konzeptionstag an alle Kolleg*innen in unserem Haus weitervermittelt.

Hier ging es im ersten Schritt darum, die Berührungsängste der Kolleg*innen mit den verschiedenen vorhandenen Medien zu erkennen und aufzugreifen. Praktisch wurden in verschiedenen Kleingruppen Technologien ausprobiert, die in Verbindung mit der eigenen pädagogischen Arbeit stehen. So wurden Portfolioblätter oder Lerngeschichten mit dem Tablet erstellt, Bilderbücher mit einer App gestaltet, Tonaufnahmen mit einem Mikrofon erstellt, Stop-Motion Filme gedreht oder mit einer Endoskopkamera der Kindergarten neu entdeckt. Durch das praktische Ausprobieren wurden die ersten Hemmschwellen abgebaut. Nun konnten wir klären, welche grundlegenden pädagogischen Aspekte immer gewährleistet werden sollen und welche Regeln für uns im Umgang mit den Medien wichtig sind.

Es war uns auch wichtig, Ängste der Familien frühzeitig zu erkennen und aufzugreifen. Eltern haben wir auf unserem Weg von Anfang an beteiligt und einbezogen. Mit der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen haben wir im ersten Schritt einen Informationsabend zur Mediennutzung im Kindesalter durchgeführt und nachfolgend verschiedene Familien-Mitmach-Aktionen angeboten. Hier war uns wichtig Familien zu vermitteln, dass es uns nicht um Medienkonsum geht, sondern um die praktische Nutzung von Medien zur Umsetzung frühkindlicher Bildungsprozesse. Und dass diese immer in Interaktion mit den pädagogischen Fachkräften stattfinden. Familien konnten Tools und Technologien mit ihren Kindern ausprobieren, experimentieren und so nach und nach ein Verständnis für unseren Ansatz entwickeln. Die anfänglichen Sorgen und Ängste konnten so langsam abgebaut werden.

 

Wie können digitale Medien Beteiligung und Inklusion fördern? Können Sie Beispiele aus Ihrer Kita-Praxis nennen?

Uns ist es wichtig, Kinder bestmöglich auf den weiteren Bildungsweg vorzubereiten und dazu gehört auch, dass sie mit digitalen Medien kompetent umgehen können. In unserem Haus gibt es viele digitale Tools, die die Autonomie der Kinder unterstützen. So kommen verschiedene Erzählboards, Sprachwände oder digitale Lesestifte zum Einsatz.

Auf unseren Erzählboards werden die Ergebnisse der Kinderkonferenz und des Kinderparlamentes sprachlich von den Kindern festgehalten und visuell mit einem Piktogramm unterstützt. So haben die Kinder jederzeit die Möglichkeit, sich erzählen zu lassen, was besprochen wurde und welche Punkte zum Beispiel noch offen sind. So haben die Kinder eine Kontrollmöglichkeit, ob angesprochene Dinge wirklich erledigt wurden oder noch bearbeitet werden müssen. Mit Hilfe von Push-Buttons und Sprachwänden gibt es so weitere vielfältige Möglichkeiten. Die Regeln der Einrichtung wurden nicht nur mit den Kindern gemeinsam erstellt, sondern auf Push-Buttons gespeichert und bebildert, so dass man sich diese jederzeit anhören kann. Ähnlich ist es auch mit dem Speiseplan oder unserem Beschwerdebriefkasten für Kinder. Beim Beschwerdebriefkasten können sich Kinder nicht nur vorlesen lassen, wie das mit einer Beschwerde funktioniert – sie können auch ihre Beschwerden, Anregungen und Ideen auf einem Erzählboard hinterlassen. Diese Nachrichten werden dann in der Kinderkonferenz angehört und bearbeitet.

Unsere Willkommens-Sprachwand im Eingangsbereich begrüßt Kinder in den verschiedenen Sprachen der Familien. Durch den Einsatz von digitalen Lesestiften können Kinder sich verschiedene Piktogramme oder auch unsere Kinderverfassung in verschiedenen Sprachen vorlesen lassen. Somit haben alle Kinder und ihre Familien sowie Besucher zahlreiche Möglichkeiten, eigenständig das Haus zu entdecken und Informationen zu abgebildeten Piktogrammen zu erhalten.

 

Welche Voraussetzungen – auf Seiten der Fachkräfte aber auch strukturell – müssen gegeben sein, damit digitale Medien sinnvoll in der pädagogischen Arbeit eingesetzt werden können?

Es braucht eine offene Haltung, Fortbildungen, die nötige Ausstattung und die Infrastruktur, um digitale Medien sinnvoll und gewinnbringend in der pädagogischen Arbeit mit Kindern zu nutzen.

Medienbildung und digitale Medien im frühpädagogischen Bereich müssen in den Bildungsplänen fest verankert und gefördert werden. In den Kita-Finanzierungssystemen der meisten Bundesländer werden aktuell weder digitales Equipment und notwendige Softwarelösungen noch Fort- und Weiterbildung dazu berücksichtigt.

Fachkräfte müssen die Möglichkeit bekommen, sich selbst mit den Medien zu beschäftigen. Digitalisierung soll eine Unterstützung für die pädagogische Arbeit sein und nicht als Mehrbelastung wahrgenommen werden. Damit dies gelingt und sich digitale Medien unaufgeregt in die pädagogische Werkbank neben Schere und Papier einreihen, müssen Fachkräfte entsprechend aus- und fortgebildet werden und ihnen Zeit zum Auseinandersetzen und Anwenden gegeben werden.

In unserem Haus haben wir hierzu eine mehrtägige Teamfortbildung in Anspruch genommen. Eine Medienreferentin gab einen Einblick in die Vielzahl von Möglichkeiten der Arbeit mit digitalen Medien. Alle konnten sich je nach persönlichen Interessen und Schwerpunkten mit der Thematik auseinandersetzen. Es wurden Hörspiele gestaltet, kleine Filme gedreht und gemeinsam ein Verständnis entwickelt und Regeln festgehalten. Anschließend haben wir unsere Teamsitzungen und auch Konzeptionstage häufig mit digitalen Medien verknüpft: zum Beispiel das Thema Beobachtung und Dokumentation mit dem Erstellen einer digitalen Lerngeschichte oder das Thema Sprachförderung mit dem Ausfüllen digitaler BaSik Bögen (für die begleitende alltagsintegrierte Sprachentwicklungsbeobachtung in Kindertageseinrichtungen).

Langfristig muss gewährleistet sein, dass die digitalen Medien auch immer wieder erneuert und die Software auf dem aktuellsten Stand gehalten wird. Mit einer einmaligen Anschaffung ist es leider nicht getan.

 

In welcher Hinsicht können digitale Medien den Kita-Alltag in Zeiten multipler Krisen mit Pandemie, Krieg, steigender Inflationsrate und Fachkräftemangel, bereichern bzw. erleichtern? Inwieweit sehen Sie darin einen Faktor zur Fachkräftebindung/-gewinnung?

Gerade in der Zeit der Pandemie hatten wir das große Glück, die Kinder und Familien auch digital weiter begleiten zu können. Die Kolleg*innen haben ihre pädagogischen Angebote einfach digital durchgeführt. So wurde gemeinsam in einer Morgenrunde gesungen, zuhause mit uns gebacken, ein Experiment durchgeführt oder sogar gemeinsam zu Abend gegessen. Der Kontakt zu Kindern und Familien konnte so gut aufrechterhalten und die Beziehungsarbeit weiter fortgeführt werden. Auch Vorstellungsgespräche, Elternabende und Teamsitzungen waren digital möglich. Es hat sich gezeigt, dass bestimmte Themen auch weiterhin digital gut angenommen und durchgeführt werden können. Familien können so zum Beispiel unkompliziert von zuhause aus an Veranstaltungen teilnehmen. Das wissen sie auch zu schätzen.

In unserem Haus nutzen wir eine Kita-App, in der wir unsere Bildungsangebote dokumentieren und für Eltern sichtbar machen. Auch Elterninformationen, Speisepläne oder unseren Kalender finden die Familien hier. Die Nutzung einer Kita-App soll nicht die Kommunikation mit den Familien ersetzen, bietet aber eine hohe Transparenz und durch die Fotos einen guten Einblick in unsere pädagogische Arbeit. Die digitale Dokumentation der Bildungsarbeit spart außerdem Zeit, sodass mehr Zeit für die unmittelbare pädagogische Arbeit bleibt.

Seit 2019 sind auch digitale Fortbildungsformate ein fester Bestandteil in unserer Aus- und Weiterbildung. E-Learning-Formate sparen Zeit und Geld und sind ökologisch nachhaltiger. Für Kolleg*innen und auch für die Einrichtung ist die flexible und digitale Nutzung ein Mehrwert und wird sehr gut angenommen.

In Bezug auf Personalgewinnung werden die sozialen Medien immer wichtiger. Hier können sich Kolleg*innen unkompliziert via Handy bewerben und werden dann von uns kontaktiert. Auch Informationen über die pädagogische Arbeit und die Einrichtungen holen sich viele Bewerber*innen inzwischen über die verschiedenen Social Media Kanäle. Digitale Vorstellungsgespräche und auch Hausrundgänge sind für beide Seiten zeitsparend. Ein persönliches Kennenlernen kann dadurch aber natürlich nicht ersetzt werden.

 

Was können Sie Einrichtungen an Hinweisen mitgeben, die sich jetzt mit auf den Weg machen digitale Medien in der pädagogischen Arbeit einzusetzen? Zum Beispiel in Bezug auf Daten- und Kinderschutz?

Natürlich erscheint es erst einmal schwierig, den Überblick über die vielfältigen Datenschutzbestimmungen zu behalten. Oft ist gar nicht auf den ersten Blick ersichtlich, in welchem Land die Server stehen und welche Datenschutzbestimmungen greifen. Nichtsdestotrotz ist die Beschäftigung mit dem Thema natürlich essentiell: Für uns ist es deshalb wichtig, Kolleg*innen für die Sensibilität von kind- und familienbezogenen Daten zu schulen. Wir haben ein Handout mit Apps erstellt, deren Datenschutzrichtlinien auch unsere hohen Anforderungen erfüllen. Tatsächlich kann richtig ausgewählte und eingestellte Technik beim Datenschutz auch unterstützen: Ein Tablet kann nach kurzer Zeit automatisch auf den Sperrbildschirm wechseln – ein Blatt Papier, das personenbezogene Daten zeigt bietet diesen Service nicht.

 

Herzlichen Dank für das inspirierende Gespräch!