Dokumentation des Online-Workshops „Die rassismuskritische und empowerment-orientierte Kita“ vom 28.06.2022

Ein Angebot für die Partnerschaften für Demokratie mit frühpädagogischem Fokus

Schon in der Kita erleben Kinder Rassismus, wenn sie aufgrund ihrer Herkunft, Erstsprache, Hautfarbe, sogenannten „Kultur“ oder Religionszugehörigkeit von Erzieher*innen und anderen Kindern anders wahrgenommen und behandelt werden. Die Autorin und Diversity-Trainerin Dr. Nkechi Madubuko zeigte in einem zweistündigen Workshop auf, wie die frühpädagogische Praxis empowerment-orientiert und rassismuskritisch gestaltet werden kann.

Zum Einstieg wurden die Teilnehmenden gefragt, inwiefern sie schon mit dem Thema des Workshops in Berührung gekommen sind: Die meisten von ihnen gaben an, dass Empowerment-Orientierung und Rassismuskritik für sie im Handlungsfeld Kindertages­betreuung ein neues Thema sei. Andere meldeten zurück, dass sie in ihrem Arbeitskontext - in der Fachberatung, in Kitas sowie in den Fach- und Koordinierungsstellen der Partnerschaften für Demokratie - schon mit Rassismus(-kritik) und Diversität konfrontiert worden seien und z. T. bereits versuchen würden Empowerment-Orientierung sowie Diskriminierungsschutz umzusetzen.

Der erste Teil des Workshops beschäftigte sich mit Rassismus und Rassismuskritik: Die Referentin stellte heraus, dass das in der UN-Kinderrechtskonvention verankerte Recht auf Diskriminierungsschutz von Kindern (Artikel 2) in der Realität oft nicht gewährleistet werde. Rassismus zeige sich in verschiedenen Formen („Klassischer“, kulturalistischer, institutionalisierter Rassismus und Alltagsrassismus) sowie in unterschiedlichen Kontexten (in Bildungsinstitutionen, der Polizei, Medien, Spielen, Werbung etc.). Rassismus sei zudem verknüpft mit „Othering“ – einem Konzept der Abgrenzung von einer Person bzw. Gruppe, die als andersartig und fremd beschrieben wird in Form von Naturalisierung („Die sind halt so.“), Homogenisierung („Die sind alle so.“), Polarisierung („Die sind ganz anders als wir.“) oder Hierarchisierung („Die gehören nicht dazu. / Die sind nicht so gut wie wir.“).

Des Weiteren ging die Referentin darauf ein, warum Antidiskriminierung und Rassismuskritik schon in der Kita wichtig seien: Im Alter zwischen drei und sechs Jahren hätten Kinder zumeist noch keine festsitzenden Bedeutungen von Merkmalen verinnerlicht. Sie würden in dieser Altersspanne aber durchaus beginnen, Machtverhältnisse in Bezug auf bestimmte Merkmale zu bemerken und sich einzuprägen. Auch würden bereits erste Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht. Deshalb sei es gerade in dieser Phase der Identitätsentwicklung unerlässlich, ein kindgerechtes Bewusstsein für Vielfalt und Solidarität gegen Diskriminierung zu schaffen. Zugehörigkeit und soziale Anerkennung würden die Persönlichkeitsentwicklung stärken. Rassistische und (anderweitig) diskriminierende Erfahrungen hätten dagegen weitreichende Folgen für den Selbstwert und die Selbstwahrnehmung des Kindes.

Anschließend beleuchtete Dr. Nkechi Madubuko, wie Kinder (rassistische) Vorurteile wahrnehmen und wie sie diese lernen: Kinder nähmen Wertungen aus ihrem sozialen Umfeld auf und würden diese ggf. reproduzieren. Die Rolle der pädagogischen Fachkräfte sei hier also zentral, um eine direkte Rückmeldung zu Aussagen und Interpretationen zu geben und bei diskriminierenden Aussagen einzuschreiten. Die Verinnerlichung von Vorurteilen und die Verwurzelung von Rassismus zeigte die Referentin anhand von Filmausschnitten aus der Dokumentation „Die Macht der Vorurteile“ auf: Darin wird dargestellt, wie Kinder selbstverständlich rassistische Botschaften übernehmen (anhand des sogenannten „Doll Test“), und was es bedeutet als Person of Colour in Deutschland zu leben.

Danach wurden die Teilnehmenden anhand von Bildern angeregt, darüber zu reflektieren, was sie selbst als eine „normale“ Familie ansehen. Zudem hatten die Teilnehmenden die Gelegenheit sich in einer Gruppenarbeit darüber auszutauschen, was Rassismus mit Kindern macht. Es wurde über die Auswirkungen von Rassismuserfahrungen auf Kinder gesprochen, wenn Erzieher*innen diese Diskriminierung unkommentiert ließen: Die Teilnehmenden stellten heraus, dass Scham, Unsicherheit, Selbstzweifel, die Schwächung des Selbstwertgefühls und des Vertrauens in soziale Bindungen sowie Schuldgefühle und das Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit die Folgen sein könnten.

Als Zwischenfazit dieser Austauschrunde wurden verschiedene Anforderungen an eine rassismuskritische und diversitätssensible pädagogische Fachkraft formuliert:
 

  • Reflektion eigener kultureller Prägungen, Normvorstellungen, Vorurteile und rassistischer Denkweisen/Sprache (Vorbildfunktion)
  • Reflektion der eigenen Erwartungshaltung
  • Rassismus wahrnehmen (rassistisch markierte und rassistisch nicht-markierte Kinder)
  • Kinder in ihrer Individualität sehen; wertschätzender Umgang mit Vielfalt
  • identitätsstärkende Angebote schaffen (Ausstattung, Spielangebote, Medien)
  • kompetenten und verlässlichen Diskriminierungsschutz bieten

Wichtig erschienen den Teilnehmer*innen zudem praxisnahe Interventionskonzepte sowie ein schnelles und direktes Eingreifen. So soll verhindert werden, dass Kinder, die rassistisch diskriminieren oder diskriminiert werden, die Botschaft „was ich gesagt bzw. erfahren habe, war richtig“ verinnerlichen. Auch der Wunsch nach einer Anpassung der Ausbildungsinhalte wurde geäußert.

Diversitätssensible Erzieher*innen müssten Einseitigkeiten und Diskriminierungen früh erkennen können. Kinder wiederum sollten einen wertschätzenden Umgang mit Unterschiedlichkeit in der Begleitung vorurteilsbewusster Pädagog*innen erlernen. Rassistisch markierte Kinder hätten einen Rechtsschutz vor Diskriminierung, den Pädagog*innen zu gewährleisten hätten.

Der zweite Teil des Workshops zeigte auf, was Empowerment(-Orientierung) bedeutet und wie dies zur Prävention von Rassismus und anderen Diskriminierungen beitragen kann. Dr. Nkechi Madubuko führte aus, dass der Begriff „Empowerment“ ein politischer Begriff sei und auf die Bürgerrechtsbewegung Schwarzer Menschen in den USA zurückgehe. Er bezeichne die eigene Selbstermächtigung gegen jedwede Form von Diskriminierung, individuell und kollektiv. Empowerment umfasse dabei folgende Aspekte: die Einforderung politischer Rechte auf Zugänge und Gleichberechtigung, die Abkehr von rassistischen und anderen Zuschreibungen, die Selbstdefinition und Entwicklung eigener Visionen, die Überwindung fehlender Sichtbarkeit sowie den Weg zu Selbstakzeptanz- und liebe.

Um Empowerment verwirklichen zu können, brauche es innere und äußere Schutzräume (Safer Spaces). Innere Schutzräume könnten dabei etwa vertrauensvolle Ansprechpartner*innen oder eigene Strategien der Gegenwehr darstellen. Äußere Schutzräume fänden sich bspw. im Austausch mit Gleichgesinnten sowie in vorurteilssensiblen Gruppen und Einrichtungen. In solchen Schutzräumen könnten Kinder, die bestimmten Diskriminierungen ausgesetzt sind, sich selbst spiegeln, Erfahrungen teilen, Impulse erhalten und sich gegenseitig stärken ohne Zuschreibungen ausgesetzt zu sein. Die Leitung des Schutzraums sollte Wissen zu Empowerment und Verbindung zum jeweiligen Vielfaltsthema (Kids of Colour o.ä.) haben.

Dr. Nkechi Madubuko stellte zudem „Ankerpunkte“ vor, anhand derer Kitas überprüft sowie zu empowerment-orientierten Einrichtungen umgestaltet und weiterentwickelt werden können:
 

  • Reflexion über eigene und gemeinsame Kommunikation
  • Reflexion über eigene Haltungen und Bewertungen
  • Reflexion über Zugänge zu Ressourcen und Machtverteilung
  • identitätsstiftende Gestaltung der Lernumgebung (Sichtbarkeit von Vielfalt)
  • Auswahl der Inhalte (auf Stereotype und Rassismen prüfen)
  • Diskriminierungsschutz
  • Angebot von Safer Spaces (geschützte Räume)

Zusammenfassend lasse sich festhalten, dass Empowerment-Orientierung in der Kita bedeute, die eigenen Vorurteile und rassistischen Denkweisen zu reflektieren sowie eine wertschätzende Haltung zur Vielfalt und Individualität der Kinder einzunehmen und zu vermitteln. Dabei sollten Unterschiede jedoch nicht überbetont und Stereotype nicht auf Kinder angewendet werden. Es gelte weiterhin einen rassismuskritischen Blick auf Lernräume sowie Bild- und Spielmaterial zu legen, sodass Zuschreibungen vermieden werden und die Ich-Identität der Kinder gestärkt werde. Ferner müsse Diskriminierungsschutz im Kita-Alltag verankert werden ohne ‚Othering‘ und erneute Verletzungen vorzunehmen. Eine solche diversitätssensible Handlungsfähigkeit sei die Basiskompetenz, damit Erzieher*innen als Vorbild fungieren können.

In einer abschließenden Fragerunde wurde darüber gesprochen, wie pädagogische Fachkräfte für das Thema interessiert werden könnten. Frau Dr. Madubuko verwies auf die Aktualität der Thematik und das steigende Interesse in der Gesellschaft daran. Damit Angebote zu Rassismuskritik und Empowerment in Kitas wahrgenommen würden, müssten sie den Bedürfnissen der Zielgruppe entsprechend gestaltet werden: So könne man zuvor abfragen, welches Format gewünscht sei.

Mehr über die Referentin des Workshops, Dr. Nkechi Madubuko, erfahren Sie in unserem Expert*innenpool.

Weiterführende Literatur und Informationsangebote:
 

  • 3. Folge unseres KiTa-Podcasts „Kita ohne Rassismus - Von der Haltung zum Handeln“: https://www.duvk.de/podcast/
  • Veröffentlichungen zu Rassismus(-kritik) in unserer Infothek und unserem Methodenpool
  • Dr. Nkechi Madubuko: „Empowerment als Erziehungsaufgabe. Praktisches Wissen im Umgang mit Rassismuserfahrungen bei Kindern und Jugendlichen.“ 3. Auflage. Unrast Verlag 2020
  • Dr. Nkechi Madubuko: „Praxishandbuch Empowerment. Rassismuserfahrungen bei Kindern und Jugendlichen.“ Beltz Verlag 2021
  • Dr. Nkechi Madubuko: „Erziehung zur Vielfalt. Für einen wertschätzenden Umgang mit Unterschieden.“ Kösel Verlag 2021
  • Antidiskriminierungsbüro Sachsen e. V.: „Fair in der Kita. Antidiskriminierungspädagogik für ErzieherInnen“. 2009: https://www.duvk.de/materialien/infothek/fair-der-kita/
  • Buchreihe „Little People – Big Dreams“. Suhrkamp Verlag
©Kerstin Achenbach