Dokumentation des Online-Workshops „Demokratie leben: Partizipative und inklusive Ansätze in der frühpädagogischen Praxis“

Ein Angebot für die Partnerschaften für Demokratie vom 13. Oktober 2021

In diesem Workshop für Partnerschaften für Demokratie mit frühpädagogischem Fokus zeigten die Referentinnen Kari Bischof-Schiefelbein und Astrid Grabner auf, wie Beteiligung und gelebte Vielfalt in der Kindertagesbetreuung ermöglicht werden können. Hierzu wurden zunächst spielerische Methoden für die Teamarbeit, wie Team-Tally, vorgestellt sowie ein Input zu den Grundlagen der frühkindlichen Demokratie- und Vielfaltsbildung gegeben. Anschließend wurden in Fokusgruppen zentrale Begriffe wie Partizipation und Inklusion definiert sowie die in der Praxis erprobten Konzepte und Methoden "Kinderstube der Demokratie" und "Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung" vermittelt.

In der Fokusgruppe zur Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung wurde hervorgehoben, dass es Vorurteilsfreiheit an sich nicht gibt und sich (Vor-)Vorurteile schon in der Kindheit entwickeln: Bereits Säuglinge unterscheiden zwischen vertrauten und fremden Personen. Kinder ab 2 Jahren nehmen körperliche Merkmale und deren soziale Bedeutung wahr; ab 3 Jahren erkennen sie die geschlechtliche Identität und werden sich über die Verhaltenserwartungen an unterschiedliche Geschlechter bewusst. Kinder sind scharfe Beobachter ihrer Umgebung und nehmen Signale aus dem Handeln anderer Menschen auf: Damit entwickeln sie ein schnelles Verständnis dafür, wie bspw. ihre Familien von anderen gesehen bzw. zu welcher Kategorie sie zugeordnet werden. Kinder sollten von Kitas als Bildungseinrichtungen bzw. Mini-Gesellschaften das nötige Wissen erhalten, damit Vorurteilen frühzeitig entgegengewirkt werden kann.

In der Fokusgruppe sollten die Teilnehmenden selbst Vielfaltsaspekte identifizieren: Von ihnen wurden u. a. Familienform, Herkunft, Hautfarbe, Körperform und Behinderung genannt (siehe Grafik rechts zu Vielfaltsaspekten). Es sollte immer zunächst von Gemeinsamkeiten ausgegangen werden und davon ausgehend Unterschiede beleuchtet werden. Diese sollten dann wertschätzend bejaht werden ohne auszugrenzen. Die Lebenswelten aller Kinder sollten sich z. B. in den (Bildungs-)Materialien der Einrichtungen wiederfinden. Eine Möglichkeit Kindern Vielfalt nahezubringen sind auch die sogenannten Personal Dolls®: Dies sind Puppen mit eigener Biografie; sie haben immer einen Vielfaltsaspekt und aufgrund dessen Erfahrung mit Ausgrenzungen gemacht: Sie können genutzt werden, um mit Kindern über Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Mobbing und Gerechtigkeit ins Gespräch zu kommen.

Unter den Teilnehmenden herrschte Einigkeit darin, dass Unterschiede zwischen Menschen etwas positives sind und bejaht werden sollten: Wir sind nicht alle gleich, etwa hinsichtlich unserer Bedürfnisse, Interessen und anderer Vielfaltsfacetten, aber wir haben alle die gleichen Rechte. Differenz werde in Bildungseinrichtungen oftmals noch negativ ausgelegt:  Statt Gleichmacherei brauche es (mehr) Wertschätzung von Individualität. Dabei sei wichtig sich der Bedeutung von Sprache, insbesondere im Kontext von Vorurteilsbewusstsein und Antidiskriminierung, bewusst zu werden: Es brauche eine andere Perspektive und Sprache bzw. Framing im Umgang mit Diversität, die herausstellt, dass Vielfalt eine Bereicherung ist. Vor allem Kinder mit mehreren Muttersprachen sollten stärker gefördert werden. So sollten etwa auch andere Muttersprachen als Deutsch in den Bildungseinrichtungen gelehrt werden im Sinne einer mehrsprachigen Alphabetisierung zur Wahrung von Vielfalt.

In der Fokusgruppe zur Kinderstube der Demokratie wurde verdeutlicht, dass Kindern in einem zu definierenden Rahmen (etwa in Form einer Kita-Verfassung) Freiräume für eigene Entscheidungen gestellt werden können: z. B. könnten sie entscheiden, wo sie am Tisch sitzen, was sie essen, wie viel sie essen und ob sie nur mal probieren wollen. Diese Entscheidungsbefugnisse können in abgestufter Form festgelegt werden (siehe Grafik rechts zur Partizipationsleiter). Generell sollten die unterschiedlichen Bedürfnisse von Kindern berücksichtigt werden und im Mittelpunkt stehen. Manchmal stünden diese Bedürfnisse aber auch Regeln entgegen. Dann bestehe die Herausforderung eine Abwägung zu treffen. Eine solche Situation der Abwägung ergebe sich z. B. bei der Schlüsselsituation Essen am Beispiel des Stillens von Babys: Hier müsse abgewägt werden zwischen Stillen nach Bedarf und Stillen nach Uhrzeit. Wichtig sei es auch bei der Demokratiebildung in der Einrichtung die Fachkräfte mitzunehmen. Schließlich müsse die Beteiligung und Mitbestimmung der Kinder auch von den Erwachsenen gewollt werden. Für demokratische Interaktion braucht es auch ausreichend Zeit und Räume zur Reflexion, etwa zur Machtfrage (Welche Macht übe ich als Fachkraft gegenüber dem Kind aus? Welche Entscheidungsmacht kann ich abgeben?). Kinder sollten auch von Anfang an gestärkt werden, indem frühzeitig Adultismus und anderen Diskriminierungsformen entgegengewirkt wird und sie sich demokratiefördernde sowie diversitätssensible Kompetenzen aneignen. Damit sollen Kindern gleichberechtigte Chancen auf einen gelungenen Bildungsweg ermöglicht werden. Laut Kinderrechtsreport von 2012 würden Kinder schließlich auch resilienter, wenn sie durch die Aneignung von Demokratiekompetenzen früh gestärkt werden, bspw. durch die Beteiligung an den Planungen und Entscheidungen im Kita-Alltag.

Zu den weitere zentralen Fragen und Anliegen, die die Teilnehmenden einbrachten, gehörten u. a. die Notwendigkeit der Vermittlung von Demokratie- und Vielfaltsbildung in der Erzieher*innenausbildung sowie die Bedeutung von Demokratiebildung und Partizipation am Übergang Kita-Grundschule. Es stelle sich die Frage, wie Grundschulen Kinder beim Übergang mehr unterstützen können (um demokratische Impulse weiterzutragen). Es wurde auch hervorgehoben, dass die Haltung von Fachkräften zum Thema Partizipation ausschlaggebend dafür ist, ob Demokratiebildung in einer Einrichtung gelingt.

©Kari Bischof-Schiefelbein

©Kari Bischof-Schiefelbein

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